Ich verweise hier nochmals auf meine Posts weiter oben, in denen ich belastbare Daten von entsprechend autorisierten Stellen als Grundlage für eine Beurteilung der Lage ansprach. Und eines der Probleme ist, dass keine Publikation ohne genaue Prüfung als eine solche Basis herangezogen werden kann.
In einem anderen Fall (Nürburgring-Eklat) habe ich beobachtet, dass es nur eine Handvoll von echten Quellen gibt, die Neuigkeiten selber recherchieren. Von denen wird dann bundesweit selbst von den größten Publikationen abgeschrieben. Dazu zählen Fokus, Spiegel und andere. Private Blogger werden als wahrheitsgetreue Quelle zitiert, bei denen die im obigen Artikel angeführte Kritik der Zitatverdichtung absolut zutrifft.
Da ist mein erster Vorwurf an die heutige Mediengesellschaft:
Das Tempo von Publikationen ist so hoch geworden, dass die Zeit für solide Recherche kaum noch bleibt. Aus Pressekonferenzen heraus wird mit Handy ein Livestream auf eine Website geschaltet, auf Twitter erscheinen Kommentare zum gesprochenen Wort fast zeitgleich, beliebige Google-Ergebnisse werden gierig weiterverwendet.
Die Gefahr ist sehr groß, dass auf diese Weise überzogene oder sogar Falschmeldungen verbreitet werden.
Gibt es wirklich außer einer echten Katastrophenmeldung überhaupt irgendeine Neuigkeit, die eine derartige Hetze erfordert? Welcher Konsument kann bei dem Tempo noch kritisch beurteilen? Ist es nicht vielmehr so, dass man sich im Laufe eines Medientages daran orientiert, wohin die Mehrzahl der facebook-, Twitter-, Google- und noch andere Onlinemeldungen gehen? Wo soll denn überhaupt die Masse an Sensationen herkommen, die da täglich kolportiert werden muss?
Der zweite Vorwurf gerade hier im Falle Wulff:
Ich habe gerade danach gesucht, aber keine komplette Liste seiner Verfehlungen gefunden. Aber von den Sachen, die ich gesehen habe, nehme ich mal den famosen Sylt-Urlaub. Da fahren befreundete Ehepaare gemeinsam nach Sylt für ein paar Tage. Der eine reserviert das Hotel und bekommt auch folgerichtig die Rechnung. Der andere sagt, das geht so nicht, ich muss das selber zahlen und erstattet den Betrag.
Hört sich für mich nach einem recht normalen Vorgang an, der absolut plausibel ist. Situationen dieser Art (Rechnungsaufteilung) habe ich zu Hunderten selbst erlebt, ganz gleich aus welchen Gründen aufgeteilt werden mußte. Da geht man in einer Gruppe essen, der Einfachheit halber gibt es nachher eine Rechnung, die aufgeteilt wird. Jeder legt seinen Teil auf den Tisch und fertig. Und ja, es gibt dann auch die Situation, dass einer dann doch den Beleg mitnimmt, um ihn später (unerlaubterweise) abzusetzen. Aber der Vorgang des Aufteilens ist ganz normal.
So könnte man die Buchung und Zahlung sehen, wenn man neutral oder wohlwollend wäre. Ist man das nicht, so kann man daraus eine Affäre stricken, wie es passiert ist.
Nun schauen wir uns aber mal den Betrag an: da geht es wohl um 3 x 258 Euro, also 774 Euro. Darum wird ein solcher Tanz gemacht?
Nehmen wir an, Wulff hätte da einen Vorteil in dieser Höhe draus gezogen, rechtfertigt das so einen medialen Aufstand und eine solche Entrüstung?
Geht mal in der Zeit vom 11.11. bis Aschermittwoch durch die Karnevalssäle der Region und zählt dort mal die Politiker aller Parteien. Ob da auch nur ein einziger seine Karten bezahlt (Partner(in) natürlich inbegriffen)? Wie viele Politiker sitzen in Fußballstadien, bei Sportveranstaltungen (am liebsten natürlich bei denen im Ausland)?
Eine einzige Reise der gekrönten Häupter einer Kleinstadt zur Partnerstadt nach England oder Frankreich liegt schon beim mehrfachen eines solchen Betrags, und natürlich sind die Besuche immer unvermeidbar.
Es stimmt, ein Politiker sollte keinen Vorteil nehmen und nicht erpressbar werden. Aber wenn in diesen Größenordnungen gerechnet wird, dann kann man blind jeden Politiker aus Amt und Würden bekommen.
Nur um es klarzustellen: ich beziehe mich hier weder auf strafrechtlich relevante Dinge, noch auf Kommunikationsfehler, sondern auf den Umgang der Presse mit Details.
Der dritte Vorwurf:
Angesichts der Geringfügigkeit der meisten Anschuldigungen gegen Wulff stellt sich die Frage, wer da welche Ziele erreichen wollte.
Ich sehe da ein Ungleichgewicht in der Behandlung. Entweder wollen wir tatsächlich die Messlatten derart hoch anlegen, dann bitteschön aber bei allen und mit System, aber nicht vereinzelt und durch die Presse.
Oder aber die Messlatten bleiben im realistischen Bereich, und da fragt man sich schon, warum mit derartiger Nachhaltigkeit bei einem Politiker im kleinsten Detail gesucht wird.
Ich möchte damit keine Verschwörungstheorie aufbauen, sondern einfach auf faire Behandlung pochen. Es wird jetzt häufig gesagt, dass die jetzigen Freunde von Wulff die früheren Freunde von Schröder gewesen wären. Ob das da so viel anders gelaufen ist? Warum untersucht keiner diese Zeitspanne? Wäre doch naheliegend, wenn die gleichen Leute Wulff bevorteilt haben...
Der vierte Vorwurf:
Die Meinungs- und auch die Pressefreiheit sind hohe Güter, die in unserer Verfassung verankert sind. Es scheint sich aber immer mehr zu ergeben, dass es nicht mehr nur um Meinungsäußerung in der Presse geht, sondern dass sich eine zusätzliche Form der medialen Rechtsprechung und Einflußnahme etabliert hat, die in ihrer Wirkung und vor allem Schnelligkeit erheblich effizienter ist als unsere Gerichte. Ich halte es schon für kritisch, wie stark Wähler durch Präsenz einzelner Politiker in Talkshows beeinflusst werden. Noch weitaus kritischer betrachte ich aber diese moderne Form der Selbstjustiz der Presse, die sich keiner Macht des Staates mehr unterordnet.
Wulff weine ich keine Träne nach, er hat sich weiß Gott selbst disqualifiziert. Aber die immer häufiger auftretende Jagd auf Politiker in allen Medien, gepaart mit absoluten Ansprüchen an die Fehlerlosigkeit eines Menschen, gibt mir sehr zu denken, in welche Richtung sich unsere Demokratie wohl entwickeln mag.