Ein bißchen Hintergrund zu den Kräften
Die Übungen zielen auf eine möglichst optimale Ausnutzung der Reifen und des Fahrwerks hin. Ich möchte hier kurz ausführen, wie das Ganze zusammenhängt.
(Liebe Fahrwerksingenieure, bitte habt Nachsicht, ich vereinfache zur Darstellung der grundsätzlichen Prinzipien)
Der Grip des Reifens
Stellt Euch einen Gummiklotz vor, der auf dem Asphalt steht. Es wird eine gewisse Kraft brauchen, um den Klotz in eine beliebige Richtung zu verschieben. Diese Kraft entspricht der Kraft, die der Klotz aushalten kann, bevor er wegrutscht. Die Richtung spielt dabei erst einmal keine Rolle. Schieben nun zwei Personen in unterschiedlicher Richtung an dem Klotz herum, so ergibt sich ein Kräfteparallelogramm. Die beiden Kräfte werden addiert und sind dann genauso groß wie die im ersten Beispiel, um den Klotz zu bewegen. Vielleicht schon mal im Physikunterricht gehört.
Übertragen wir das auf den Reifen:
Die eine Kraft ist die Längskraft, die das Auto vorwärtstreibt, die andere die Querkraft, die sich aus der Kurvenfahrt ergibt. Insgesamt gesehen kann der Reifen aber nur eine gewisse Kraft aufnehmen, egal in welcher Richtung sie auftritt. Also entweder mehr Längskraft, dann geht kaum noch Querbeschleunigung, oder aber mehr Querbeschleunigung, dann kann man nicht mehr voll aufs Gas treten.
Das Ganze hat mal ein kluger Mann namens Kamm beschrieben, siehe ->Kammscher Kreis.
Auf die Praxis übertragen:
Wir haben also eine maximale Kraft, die der Reifen übertragen kann. Nun können wir überlegen, ob wir diese Kraft in Längs- oder in Querrichtung nutzen. Bei Geradeausfahrt ist das einfach: alle Mann voraus, Querbeschleunigung interessiert nicht. Bei der Kurvenfahrt ist das nicht so eindeutig. Ein paar Beispiele:
Wenn ich in der Kurve bremse, dann bringe ich eine Längskraft auf. Entsprechend fehlt mir dann ein Teil der Querkraft. Kommt das Bremsen abrupt, dann reißt da der Grip ab, und das Auto rutscht munter geradeaus.
Wenn ich in der Kurve Gas gebe, bringe ich ebenfalls eine Längskraft auf. Wiederum schränke ich damit die nutzbare Querkraft ein. Gebe ich zu schnell zu viel Gas, wird die resultierende Kraft zu groß und das Auto rutscht ebenfalls raus.
Es geht also darum, die zur Verfügung stehende Kraft, die der Reifen übertragen kann, bestmöglich für unsere Zwecke zu nutzen, und das ist der schnelle Vortrieb.
Der dritte Mann
Um die ganze Sache noch etwas interessanter zu gestalten, kommt aber noch eine dritte Kraft ins Spiel, und die kommt von oben. WIe bereits weiter oben beschrieben, ist es ein Unterschied, ob ich den Klotz (oder den Reifen) einfach wegschieben will, oder ob noch jemand obendrauf sitzt. Je höher der Druck von oben ist, desto größer wird der Kammsche Kreis, d.h. desto größer wird die resultierende Kraft, die der Reifen übertragen kann. Irgendwo gibt es aber auch absolute Grenzen, dann macht der beste Reifen nicht mehr mit.
Nun steht der Reifen ja schon mit einigem Druck auf der Straße, denn immerhin muß er mit seinen Kumpels ja das Auto tragen. Wenn wir das Beispiel von oben nehmen, gibt es also jetzt passend zum Reifen und zum Fahrzeuggewicht eine bestimmte Kraft, die der Reifen übertragen kann. Das wäre aber wirklich zu einfach gedacht.
Das statische Gewicht (->Radlasten) interessiert beim Fahren nur zum Teil. Durch entsprechende Aktionen kann der Fahrer das Gewicht auf einzelnen Rädern erhöhen oder reduzieren. Ein paar Beispiele:
- bei normaler Kurvenfahrt sind die inneren Räder immer weniger belastet als die äußeren
- beim Bremsen sind die vorderen Räder stärker belastet als die hinteren
Offensichtlich ist die dynamische Radlast diejenige, die uns interessieren sollte.
Wenn wir also nun unser Ziel der schnellen Kurvenfahrt weiter verfolgen möchten, dann müssen wir einfach nur die bestmögliche Kombination von Längskraft, Querkraft, Druck auf dem Reifen bei gegebenen Komponenten wie Fahrwerk, Reifen, Abstimmung finden. Und das für jede einzelne Kurve und für jeden Meter in dieser Kurve. "Nichts leichter als das", sagte Frederick, "komm mit". Und sie gingen und gingen und gingen. Aber ich schweife ab.
Bauen wir das Ganze zusammen...
Die Kraft, die ein Reifen übertragen kann, hängt von vielen Dingen ab. Nehmen wir einfach einmal an, es sind gute Reifen montiert und der Luftdruck stimmt (üblicherweise 2.4 bis 2.5 warm bei normalen Autos. Bei Mercedes kann es aufgrund des Gewichts schon mal höher sein). Dieser Reifen kann nun (aus-)genutzt werden für die schnelle Kurvenfahrt. Es zeigt sich nun, dass es einen weiteren Faktor gibt, mit dem wir den Grip des Reifens dynamisch erhöhen können, und das ist der Druck von oben.
Hier verweise ich nun auf die oben genannten Übungen zum Hineinfahren, Beschleunigen und Herausfahren aus der Kurve, möchte aber noch ein paar Hintergründe dazu geben.
Vergleichen wir zwei Situationen:
1. ich fahre langsam in die Kurve hinein und gebe dann Gas
2. ich fahre wie oben beschrieben mit Druck auf dem Vorderrad in die Kurve und gebe dann Gas
Im ersten Fall wird keine besondere Kraft auf das kurvenäußere Vorderrad einwirken. Gebe ich nun schwungvoll Gas, dann senkt sich bei einem normalen Auto das Heck, das Vorderrad wird zusätzlich entlastet und rutscht weg.
Im zweiten Fall kommt der Druck auf das Vorderrad durch die Querbeschleunigung, die bei Kurveneinfahrt aufgebaut wurde. Jetzt kann ich gefühlvoll so viel Gas geben, bis ich merke, dass es dem Reifen zu viel wird, d.h. wenn die resultierende Kraft aus Quer- und Längsbeschleunigung den Kammschen Kreis verlässt.
Das Timing spielt offensichtlich eine überaus wichtige Rolle bei der Kurvenfahrt. Das äußere Vorderrad muss zuerst unter Druck stehen, erst dann kann ich durch leichtes Gasgeben auch Druck auf dem Hinterrad aufbauen, um dann mit Gefühl bis zur Grenze zu fahren. Alles Andere ist Holzhackerei mit stumpfer Säge.
One more thing: the Schräglaufwinkel
Zum Glück war es bisher ja recht einfach, so dass ich mir erlaube, noch ein nettes Detail anzufügen. Jeder Reifen verformt sich bei der Kurvenfahrt. Fährt man langsam durch die Kurve, bliebt die Flanke des Reifens fast gerade, fährt man mit viel Druck, wird die Flanke kräftig verformt. Dabei sollte man auch nie vergessen, dass hier nichts statisch ist. Wenn sich da etwas verformt, so ist das durch die Rotation des Rades ein fortlaufender Prozess, und der Grip, der sich aufbaut, baut sich zwischen der Fahrbahn und einem ständig wechselnden Stück Reifen auf. Das Leben ist eben kein Ponyhof.
Vielleicht ist es schon jemandem aufgefallen, aber der Schräglaufwinkel, ich nenne ihn mal einfacher den Lenkeinschlag, hängt von der Geschwindigkeit ab. Fahre ich langsam mit steifer Flanke durch die Kurve, brauche ich weniger Lenkeinschlag als bei einer druckvollen Kurvenfahrt mit verformter Flanke. Dazu gibt es interessante Details:
Fährt man langsam in die Kurve hinein und beschleunigt dann, dann wird irgendwann die Flanke der Reifen zu walken beginnen. Als Fahrer meint man dann, es ginge geradeaus, das Auto untersteuert. Tatsächlich reicht ein kurzes Nachlenken aber meist aus, um den Kurvenradius wieder zu treffen.
Bei der perfekten Kurvenfahrt möchte ich den Reifen so früh wie möglich in die stabilste Lage bringen, und das ist eine durch Druck verformte Flanke. Schaffe ich das vom Einfahren in die Kurve bis zum Hinausfahren, dann werde ich nicht durch ein plötzliches Umkippen der Flanke überrascht, das Korrekturen und Aufschaukeln nach sich zieht.
Umgekehrt möchte ich - wie oben auch schon beschrieben - in einer gut gefahrenen Kurve nicht plötzlich Gas wegnehmen. Denn dann "springt" die Flanke wieder hoch, der Lenkwinkel ändert sich, der Grip wird reduziert und der Rest des Tages ist gelaufen.
Deshalb ist es so wichtig, mit einer guten Geschwindigkeit in die Kurve hineinzufahren und dann die resultierende Querbeschleunigung nicht absacken zu lassen. Deshalb lenkt man ganz weich ein, aber so, dass der Lenkwinkel schon zu der Kurvengeschwindigkeit passt, d.h. zur verformten Flanke. Dieses Gefühl kann und muß man sich erfahren, das geht auch bei normalem Tempo, also mit 80 km/h auf der Landstraße.
Und wem das immer noch nicht reicht, der kann sich den Kammschen Kreis und die Krempelsche Reibungsellipse anschauen. Oder aber üben, üben, üben....