AW: "Feuchtgebiete"
Ich hab es zwar nicht gelesen - sondern mir von der Autorin "herself" vorlesen lassen

- trotzdem muss ich mal meine Meinung dazu loswerden:
Also: das Buch ist ziemlich gut aber auch schlecht zugleich.
Warum nun dieser Antagonismus? Nun mehr dazu später, zuerst:
Es ist sicherlich kein Werk der Weltliteratur - stimmt! Was es aber auch nicht darstellt, ist (zur Enttäuschung vieler voreingenommener "nicht Leser") "billige Analprosa" - denn dazu ist es leider zu clever geschrieben.
Das Buch bedient sich zwar jeglicher Klisches und suhlt sich durch alle möglichen Körperausscheidungen - muß zugeben teilweise lustig, manchmal extrem eklig, dazu teils völlig übertrieben und bedauerlicherweise auch an den (Intim-)Haaren herbeigezogen.
Warum ist es nun trotzdem gut?
Weil es einfühlsam, dabei unterschwellig leicht naiv, die sehr ernste Geschichte eines psychisch gestörten Mädchens erzählt, dass der Scheidung und der Gefühlskälte Ihrer Eltern mit absonderlichem Verhalten entgegnet. Sie hasst z.B. die Mutter mit ihren Vorschriften und deren aufgezwungenen Hygiene, deren Religösität usw.
Der wahre Grund für das Verhalten (mit dieser ekligen und absonderlichen Körperflüssigkeits-Affinität) wird leider erst ziemlich am Ende des Buches wirklich verständlich! Jeder der also nur die Hälfte oder Ausschnitte liest, weil er meint genug zu haben oder zu wissen irrt - er hat das Buch leider nicht verstanden!
Gut, weil:
• es gelingt Mitgefühl für das Mädchen und dessen Situation zu wecken.
• es ohne Zensur erstmals gelingt, unverblümt und auch schockierend über Dinge zu sprechen, die zwar keiner hören oder lesen möchte, welche sich aber wohl in der Realität letztlich genauso so abspielen: manche hungern sich zu tode, manche ritzen sich die Arme auf, manche besaufen sich, andere spielen mit Tampons oder fahren TT...
• das Faktum einer Analfisur wohl nicht netter und glaubhafter darzustellen wäre.
Dazu die unterschwellige Frage, ob wir uns nicht alle was vormachen?
Anzumerken die kleine Anekdote im Buch, als das Mädchen selbst erzählt wie es Liebeszenen aus TV-Filmen verachtet, weil die Männer immer nur von hinten und die Frauen sich sofort nach dem Akt die Brüste verdecken. Dieses Buch verdeckt nichts! Es ist offen, ehrlich und so hart wie die Wahrheit.
Schlecht, weil:
• vieles sich leider viel zu oft wiederholt und unnötigerweise in die Länge zieht (z.B. die Tamponspielchen)
• vieles durch Übertreibung leider wieder ziemlich unrealistisch wirkt (z.B. das Benutzen der Klobrille, die Selbstverletzung mit Bettbremse,...)
Weniger wäre hier machmal mehr gewesen!
Soll man es nun kaufen?
• Nun wer keine Berührungsängste hat eine ganz neue Art Schreibstil kennenzulernen, wer Filme wie "Full Metal Jacket" mag und das mitgekaufte Ekelgefühl als extra erhaltenen Bonus schätzt - Ja!
• Wer sich allerdings lieber den Musikantenstadl, den Bergdoktor oder die heile Welt in Heimatfilmen aus den 50ern anschaut und seine Hose nur bei Dunkelheit runterlässt - klares Nein!
Daher endet mein persönliches Fazit mit der Frage:
Verträgst Du die Wahrheit? 