AW: Guttenberg Tastatur
Ich kann hier nur für die Naturwissenschaften sprechen, werde deine Bemerkungen also aus deren Sicht kommentieren. Für Geistes-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften kann alles ganz anders aussehen.
Für mich kristallisiert sich langsam ein recht desolates Bild der Wissenschaft in Bezug auf Titelvergabe heraus:
- der Erstgutachter handelt auf "Vertrauensbasis"
Der Erstgutachter ist in der Regel derjenige, der die Arbeit ohnehin die gesamte Zeit mitbetreut hat, auch wenn die Detailarbeit eventuell in der Hand eines Post-Docs lag.
Er kennt in der Regel die zugrundeliegenden Arbeiten (Experimente, Rechnungen, nummerische Auswertungen usw.).
Dazu muss man allerdings sagen, eine Dissertation funktioniert im naturwssenschaftlich/Technischen Bereich komplett anders. Du arbeitest 3-5 Jahre lang am Lehrstuhl mit, entwickelst die Experimente/Theorien in Zusammenarbeit mit dem Professor weiter, die Ergebnisse werden in der Zeit in der Regel in Fachzeitschriften veröffentlicht und am Ende schreibst du alles in 2-3 Monaten in deiner Dissertation zusammen, wobei du dann auf die technischen Einzelheiten im Vergleich zu den Veröffentlichungen besser eingehst. Die wissenschaftliche Fachwelt wird aber wohl nie deine Dissertation zitieren, die wenigsten werden diese jemals lesen, sondern immer deine vorher gemachten Veröffentlichungen in den Fachzeitschriften.
Das Vertraunensverhältnis Doktorant-Doktorvater liegt also nicht erst bei der Dissertation vor, sondern bereits bei der gesamten vorhergehenden Zusammenarbeit.
Der Prof muss isch darauf verlassen können, dass Messungen, Rechnungen usw. exakt ausgeführt werden. Ich selbst hab in theoretischer Festkörperphysik promoviert, mein Doktorvater hat im Rahmen der Zusammenarbeit alle meine Rechnungen, Transformationen usw. nachgerechnet ... bei der numerischen Auswertung des hergleiteten Gleichungssystems mußte er sich allerdings daruf verlassen, dass ich korrekt programmiert habe. Die einzigen Möglichkeiten hier Prüfungen durchzuführen sind einerseits die Plausibilität der Ergebnisse und andereseits ob bereits bekannte Grenzfälle korrekt wiedergegeben sind.
- der Zweigutachter richtet sich nach dem Erstgutachter und kann sich nicht in jedes Fachgebiet einarbeiten
Der Erstgutachter hat den Inhalt der Arbeit von Anfang an begleitet, er kennt alle Zwischenrechnungen, auch diese, die in der Arbeit nicht explizit ausgeführt sind (in der Arbeit sind meist nur die wichtigen Zwischenergebnisse nach Durchführung einer Transformation usw., nicht jeder einzelne Rechenschritt). Er steckt in der Materie drinnen. Ohne das Insiderwissen des Erstgutachters als Hinweise, müsste er alles in allen Einzelheiten nachrechnen. Er tut sich auch leichter, wenn er vom Erstgutachter erfährt, warum eine bestimmte Transformation sinnvoll war usw. ... die Feinheiten einer speziellen Arbeit sind auch für Kollegen, die sich mit der gleichen Fragestellung beschäftigen u.U. so noch nicht angewendet. Der Zeitgutachter hat ja nicht die Aufzeichnungen des Doktoranten zur Verfügung ... und er kennt auch nicht alle Diskussionen zwischen Doktorant und Erstgutachter. Die Arbeit in allen Einzelheiten durchzuprüfen schafft er zeitlich nicht, es bleibt also meist bei Plausibilitätsprüfungen und der Einordnung der Ergebnissse.
- Professoren lassen sich ihre Texte von HiWis vorschreiben
Bei den Lehrstühlen an denen ich tätig war, stand der Professor auf den Veröffentlichungen immer als Co-Autor mit auf den Paper, auch wenn er dazu ausser der Stelle nicht viel dazu beigetragen hat. Die Ergebnisse der Doktoranten ausschließlich unter seinen Namen zu veröffentlich hätte sich keiner getraut ... das kann außerhalb der Naturwissenschaften eventuell anders sein.
Dazu muss man auch sagen, dass die Inhaber größerer Lehrstühle oft nur noch "Wissenschafts-Manager" sind. Sie vertreten die Ergebnisse ihrer Abeitsgruppen mit ihrem guten Namen nach außen. Die direkte Arbeit mit den Doktoranten ist die Aufgabe ihrer Post-Docs, was aber nicht heisst, dass sie nicht über die Details informiert sind und den Doktoranten nicht für Diskussionen zur Verfügung stehen. In der Regel haben sie aber nicht mehr so viel Zeit für komplett eigene Forschung. Sie bringen ihre Gedanken in die Arbeit der Post-Docs und der Doktoranten einen, stellen denen Stellen zur Verfügung und haben ihren Namen dafür mit auf den Veröffentlichungen und vertreten die Ergebnisse ihrer Gruppe nach aussen bei Tagungen usw ...
Ist also ne Art Sympiose ... du bekommst Geld von mir (Stelle) und ich hab meinen Namen mit auf deinen Veröffentlichungen. Dabei hilft dir dann auch meine Reputation in der Fachwelt, deine Ergebnisse zu veröffentlichen.
Aber die Naturwissenschaften kann man für den Fall Guttenberg ohnehin nicht als Vergleich hernehmen. Hier wird ganz anders zitiert und es kommt wesentlich mehr darauf an, dass die Messungen, Rechnungen, Auswertungen korrekt und nicht gefälscht sind. Das die verwendeten Methoden nicht als die eigenen verkauft werden wenn sie von anderen entwickelt wurden usw. ... da ist es relativ egal ob ein Satz recycled wurde. Bei Literaturarbeiten wie Guttenbergs Arbeit sind die Textquellen allerdings das, was für einen Naturwissenschafter die Messungen usw. sind. Deshalb müssen diese deutlich erkennbar vom eigenen Text abgegrenzt sein.
Diese unterschiedliche Zitieren erklärt eventuell auch, dass verschiedene Fachgruppen den Fall unterschiedlich werten. So z.B. der Kommentar des Informaikprofessors den ich oben mal zitiert hatte.