Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

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Gelöschtes Mitglied 1475

Guest
Im Zusammenhang mit einer Reifenkaufentscheidung klagte ein User hier über "zu große Schräglaufwinkel".
Dieses Wort wird hier immer wieder gebraucht und ich will´s verstehen.
Kann das mal einer so erklären, dass es ein - sagen wir verständiger Achtjähriger mit Option aufs Gymnasium - versteht?

Wo liegen die Vor- und Nachteile "großer Schräglaufwinkel"?

Wikipedia meint dazu:

"Der Schräglaufwinkel ist der Winkel zwischen der Schnittlinie der Radmittenebene und Fahrbahnebene einerseits, und der Projektion des Geschwindigkeitsvektors der Radmitte auf die Fahrbahn andererseits."

Nu gut. Und irgendwas hat´s wohl auch mit Haftreibung und Gripp zu tun, aber ... &:


Grüße
Oliver
 
AW: Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

Um es (hoffentlich) etwas einfacher auszudrücken:

Der Schräglaufwinkel ist der Winkel zwischen der Richtung, in die die Felge zeigt, und der Richtung in die sich die Felge bewegt.

Es gibt bei den meisten, gerade auch durch den bei Fahrsicherheitstrainings immer wieder bemühten Kamm'schen Kreis eine fehlerhafte Vorstellung von Haftreibung, Gleitreibung und was dabei sonst noch zwischen Reifen und Fahrbahn passiert. Hier wird immer nur ein sehr eingeschränktes Halbwissen vermittelt.

Erstens einmal gibt es keinerlei Kraftübertragung zwischen Reifen und Fahrbahn ohne das Schlupf auftritt. Dies gilt sowohl für Längskräfte beim Bremsen und Beschleunigen, als auch für Querkräfte bei Kurvenfahrt. D.h. auch im Haftreibungsbereich tritt immer eine Relativgeschwindigkeit auf.
Daraus folgt für die Kurvenfahrt, dass die Bewegungsrichtung der Felge schon mal nicht ihrer Ausrichtung entsprechen kann.

Nun kommt z.B. noch der Reifennachlauf hinzu. Der Reifennachlauf bezeichnet den Abstand zwischen Radmitte und der Krafteinleitung in den Reifenlatsch - diese fallen nicht zusammen. Daraus ergibt sich eine Kraft/Moment, die den Reifenlatsch bei Kurvenfahrt verformt und damit zusätzlich den (Schräglauf)Winkel zwischen Felgenausrichtung und Bewegungsrichtung erhöht.
Hinzu kommen noch ein paar andere elastische Effekte.

Der Begriff "Reifenseitensteifigkeit", der Dir in diesem Zusammenhang vielleicht auch mal unterkommt, bezeichnet das Maß, wie hoch dieser Schräglaufwinkel in Abhängigkeit von der Querkraft ist.

Die Schräglaufwinkeldifferenz zwischen Vorder- und Hinterachse hat großen Einfluss auf das Eigenlenkverhalten des Fahrzeugs.
Da die Reifenseitensteifigkeit von Reifenbreite, Flankenhöhe, Reifenaufbau, Mischung u.a. abhängt, kann damit in gewissem Rahmen das Eigenlenkverhalten beeinflusst werden.
Daher kommt es z.B., dass eine Mischbereifung ein Auto untersteuernder macht.

Sowohl das Maß der Reifenseitensteifigkeit und des Schräglaufwinkels als auch deren Verlauf über der Querbeschleunigung sind für die Lenkpräzision sehr wichtig.

Ich hoffe, es hat etwas weitergeholfen.

Gruß,
Thorsetn
 
AW: Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

Ich hoffe, es hat etwas weitergeholfen.
Gruß,
Thorsetn

Danke Thorsten! :)
Aber das Thema scheint recht theoretisch. Zumindest gibt es keinen besonderen "Aha- Effekt", wenn ich auf mein 25jähriges Kraftfahrzeugführer-Dasein zurückblicke. Ich hatte nie das Gefühl, das derartig viele Kräfte unter dem Auto hin - her zerren, auch wenn ich es zur rational zur Kenntnis nahm (Kammscher Kreis...)

Gibt es dazu vielleicht irgendwo Trickfilme, die sowas zeigen? Ich kann mir immer so schlecht Kräfte vorstellen, die gleichzeitig und nur unter bestimmten Voraussetzungen arbeiten. Und dann noch dreidimensional.


Und die entscheidende Frage bleibt:
Wenn ein Reifenhersteller (also nicht der Autohersteller), den Schräglaufwinkel beeinflussen kann, was beabsichtigt er damit? Mir ist schon klar, dass es hier wieder einen Zielkonflikt geben wird (Grip vs. Verschleiß z.B.?) - aber welchen?

Grüße
Oliver
 
AW: Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

Das Thema ist tatsächlich sogar noch ein wenig komplizierter, aber so ist es nunmal. Daher reicht auch noch nichtmal ein Fahrzeugtechnikstudium allein, um da den Überblick zu haben.
Trickfilme dazu kenne ich persönlich dazu nicht.

Die Reifenhersteller bauen die Reifen, die von den Autoherstellern verkauft werden, nach deren Vorgaben und dem Spielraum, die die Reifenkonstruktion bietet.

Ein Reifenhersteller beabsichtigt dahingehend gar nichts, da er den Einfluss auf das Fahrverhalten nicht fahrzeugindividuell prüft bzw. darauf auslegt.
Das ergibt sich dann einfach aus den Ergebnissen von anderen Kriterien.

Der Zielkonflikt ist extrem vielfältig, ab z.B. in Hinblick auf die RFT:
Eine hohe Seitensteifigkeit (RFT) führt zwangsweise zu einem schlechteren Geradeauslauf.
 
AW: Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

Um es (hoffentlich) etwas einfacher auszudrücken:

Es gibt bei den meisten, gerade auch durch den bei Fahrsicherheitstrainings immer wieder bemühten Kamm'schen Kreis eine fehlerhafte Vorstellung von Haftreibung, Gleitreibung und was dabei sonst noch zwischen Reifen und Fahrbahn passiert. Hier wird immer nur ein sehr eingeschränktes Halbwissen vermittelt.

Stimmt, das war leider auch meine Erfahrung. Der Gipfel war, als der (ADAC)-Lehrer gefragt hat, warum Autos untersteuernd ausgelegt sind. Die Antwort war, damit die Autos mit der Front zuerst gegen ein Hindernis fahren und die längere Knautschzone nutzen. Beim Übersteuern würde man ja evtl. mit der Seite gegen einen Baum o.ä. fahren... :g
 
AW: Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

Einmal ADAC-Perfektionstraining und nie wieder! Die Kompetenz lässt sehr zu wünschen übrig.

Bei den Schräglaufwinkeln bin ich wohl gemeint...
Ich mag es nicht, wenn ich mit einem höheren Lenkeinschlag, als tatsächlich benötigt, durch die Kurve muss. Das Problem tritt sicherlich bei jedem Reifen auf, aber beim Einen ist es eben stärker ausgeprägt als beim Anderen. Ich merke es dem Reifen erst in der Nähe des Grenzbereiches an. Bei normaler Kurvenfahrt ist für mich fast jeder Reifen gleich.
Hohe Schräglaufwinkel werden bestimmt durch weiche Gummimischungen und instabile Profile hervorgerufen werden. Weiches Gummi und offene, instabile Profile verhelfen wohl zu guten Testergebnissen in wichtigen Kriterien wie Naßverhalten.

Eigentlich bin ich aber Laie und weiß es auch nicht genau.

Gruß Viktor

PS: Der Reifen hat sich nach einigen Kilometern noch verbessert. Dachte eigentlich, dass ich ihn am ersten Tag genug gefordert hätte und er schon eingefahren war.
 
AW: Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

Einmal ADAC-Perfektionstraining und nie wieder! Die Kompetenz lässt sehr zu wünschen übrig.

Bei den Schräglaufwinkeln bin ich wohl gemeint... [...]

Gruß Viktor

Das ist der Schwimmwinkel :y. (nicht schlagen, heißt wirklich so)

Ob ein Reifen mehr oder weniger Schräglauf zum Aufbau der benötogten Seitenkraft braucht bemerkt man beim Fahren dadurch, dass man mehr oder weniger Lenkeinschlag zum Durchfahren der selben Kurve mit der gleichen Geschwindigkeit braucht.
Durch die Reifenbauweise kann man diesen Schräglaufbedarf gezielt beeinflussen, z.B. Hohe Seitensteifigkeit, Profilgestalteung, Gummimischung Karkassenaufbau, mit den bereits genannten Folgen (Geradeauslauf etc.).
Ein Reifenhersteller sucht immer aus diesen Fahktoren den besten Kompromiss für seine Marktausrichtung. Bei erstausrüsterreifen bestimmt aber der Kunde (z.B. BMW) welche Eigenschaften der Reifen hat. Deshalb können auch so großen Unterschiede zwischen Reifen gleichen Typs und Herstellers mit und ohne Fahrzeugherstellersonderkennzeichnung (.B. Stern oder M3 etc) auftreten.

Ciao Sven
 
AW: Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

Die Reifenhersteller bauen die Reifen, die von den Autoherstellern verkauft werden, nach deren Vorgaben und dem Spielraum, die die Reifenkonstruktion bietet.

Ein Reifenhersteller beabsichtigt dahingehend gar nichts, da er den Einfluss auf das Fahrverhalten nicht fahrzeugindividuell prüft bzw. darauf auslegt.
Das ergibt sich dann einfach aus den Ergebnissen von anderen Kriterien.

Das hieße dann ja, wenn einer über zu extreme Schräglaufwinkel klagt, kann man sich an dieser Aussage nur dann orientieren, wenn man mindestens das gleiche Fahrzeug (Viktor fährt nen Z3) fährt, besser noch auch die gleichen Einstellungen (Sturz, Verbreiterungen, Tieferlegung) vorgenommen hat, oder?
Reifentests schreiben übrigens auch manchmal was zum Schräglaufwinkel.

Grüße
Oliver
 
AW: Wer kann SCHRÄGLAUFWINKEL erklären?

Der Schräglaufwinkel wird im Wesentlichen beeinflusst von:

Geometrie:
- Reifenbreite (maßgeblich)
- Reifenquerschnitt
- Profilierung (Slick führt zu sehr kleinen Winkeln, Winterreifen haben große)
- Radsturz (je negativer, desto kleiner die Schräglaufwinkel)
- Flankensteifigkeit (Stichwort "Runflat")

Material:
- Gummielastizität

Betriebsdaten:
- Reifenluftdruck
- Seitenkraft
- Umfangskraft (je mehr, desto größer der Schräglaufwinkel bei gleicher Seitenkraft)
- Radlast

Ob man viel oder wenig Schräglaufwinkel haben will in erster Linie eine Komfort-Frage:
- Reifen mit kleinen Schräglaufwinkels sind breite Niederquerschnittsreifen. Das Fahrzeug fährt damit sehr präzise und hat einen relativ schmalen Grenzbereich.
- Große Schräglaufwinkel haben schmalere Reifen mit hohen Flanken, kleineren Felgen etc. Der Geradeauslauf ist stabil, das Fahrzeug fühlt sich träger an und hat einen niedrigeren aber größeren Grenzbereich, der sich langsam ankündigt.
- Sieht man mal von Cup-Reifen ab sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Herstellern viel geringer als zwischen verschiedenen Reifenbreiten und Felgengrößen.

Optimale Querdynamik erreicht man mit 19" und möglichst breiten Reifen (-> CSL)! :w
 
Wow, vielen Dank fürs "Liken", der Beitrag ist ja über 10 Jahre her...:thumbsup:
Bis auf den letzten Satz klingt das ja immernoch vernünftig...;)
 
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