AW: Guttenberg Tastatur
Ich tue mich sehr schwer mit diesem Vorgang. Im Einzelnen:
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Danke, lieber Dieter, für deine wirklich
gelungene Darstellung! Unter den vielen Meinungen und Behauptungen, die man während der letzten Tage hier und andernorts lesen konnte, ist sie eine der wenigen Aussagen, die wirklich mit Verstand und Augenmaß getroffen wurden.
Zwei kleine Anmerkungen dazu:
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Weiterhin gibt es die Rolle der Uni Bayreuth. ...
Unklar sind für mich einige Punkte in dieser Hinsicht:
- wie kann eine Arbeit bei einem derart angesehenen Doktorvater durchgehen, von der Lepsius verkündet "Wir sind einem Betrüger aufgesessen. Niemand hätte sich vorstellen können, mit welcher Dreistigkeit hier ein Plagiat eingereicht wird. Es ist ein Ausmaß an Dreistigkeit, das wir bisher nicht gesehen haben"?
Gibt es eine größere Ohrfeige für die Uni und den Doktorvater, deren Inkompetenz hier klar dargestellt wird?
- wie kann - wenn ich die Regeln richtig verstehe - ein Summa Cum Laude durch das komplette Prüfungsgremium plus zusätzlichem Gutachter ausgesprochen werden, wenn das alles so offensichtlich ist?
- wie ist Guttenberg durch den mündlichen Teil des Prozesses gekommen, wenn er tatsächlich keine Ahnung hatte/einen Ghostwriter hatte?
- wie hat Guttenberg überhaupt die 7 Jahre durchgebracht, ohne dass sein sicherlich fähiger Doktorvater gemerkt hat, dass da Wissen fehlt?
Ich werde jetzt Prügel von den Wissenschaftlern bekommen, aber das Risiko gehe ich ein.
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"Prügel" sind nicht angebracht, denn deine Fragen sind
gut, richtig und berechtigt. Und es gibt bisher
keine auch nur halbswegs befriedigenden Antworten darauf. Auch und insbesondere nicht von denjenigen, die sich wissenschaftlichen Anspruchs rühmen und unter diesem Deckmantel über Herrn zu Guttenberg hergezogen sind.
Ganz offensichtlich möchte man den Ruf der Wissenschaft um jeden Preis wahren, aber keineswegs kritisch hinterfragen. Das mag in der Sache nachvollziehbar sein. Dem eigenen, wissenschaftlichen Anspruch kann das aber nicht genügen.
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Meiner Meinung nach ist der Doktortitel (leider) zu einem nichtssagenden Anachronismus verkommen, da sich schon seit langem mit der Erreichung des Titels keine wissenschaftlichen Errungenschaften größeren Kalibers mehr verbinden.
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Ich würde es etwas zurückhaltender dahingehend ausdrücken, dass der Doktortitel unter Fachkundigen schon seit Längerem als das verstanden wird, was er in den allermeisten Fällen auch ist:
Als eine Arbeit, die den beachtlichen Willen und Fleiß des Verfassers dokumentiert, sich über einen längeren Zeitraum mit einem Thema dezidiert auseinander zu setzen.
Der Ruf des Doktortitels in der Bevölkerung dürfte dagegen wohl recht weit auseinander gehen - was aber nur meine sehr eingeschränkte Wahrnehmung ist.
Abschließend noch zwei - teils indirekte -
Zitate, die aus meiner Sicht deshalb erwähnenswert sind, weil sie zwei der ganz wenigen öffentlichen Aussagen darstellen, die ebenfalls mit Augenmaß vorgenommen wurden (Quelle:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,748023,00.html).
Forschungsministerin
Frau Schavan:
"Scharfe Kritik übte Schavan an der "Maßlosigkeit", die aus ihrer Sicht die politische Debatte geprägt habe. Der Opposition sei es vor allem darum gegangen, "den Kopf des Ministers als Trophäe aus der Debatte zu tragen". Andere wiederum hätten den Eindruck erweckt, man müsse das alles nicht so ernst nehmen. Beides sei unangemessen gewesen, betonte Schavan."
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident
Wolfgang Böhmer:
Böhmer warnte im Interview davor, die politische Arbeit Guttenbergs "allein aus einem einmaligen menschlichen Verhalten heraus" zu beurteilen. "Ich rate jedem, der sich jetzt zum Richter aufspielt, dazu, mit dem moralischen Zeigefinger etwas vorsichtiger umzugehen."
Insgesamt haben wir einen Vorgang erlebt, der nur Verlierer zurücklässt: zu Guttenberg, die Opposition, die Wissenschaft - insbesondere die Uni Bayreuth -, die Politik und die Diskussionsteilnehmer. Aus meiner Sicht ein Armutszeugnis ohnegleichen, das alle Beteiligten (mit) zu verantworten haben.
Grüße
Jan