AW: Religionsverbot in der Schweiz
Interessante Diskussion!
Ich kann die Argumente beider Seiten zum Pro & Contra bei der Minarettumfrage sehr gut nachvollziehen. Die Wahrheit – wenn es denn eine gibt – liegt für mich irgendwo dazwischen.
Ich überspitze mal ganz bewusst:
Die eine Fraktion hier sieht christliche Werte gefährdet, fürchtet islamistische Expansionsbestrebungen und Terror, klassifiziert den Islam als mittelalterlich und will der wahrgenommenen Intoleranz ebenfalls mit Intoleranz begegnen. Die andere tritt für – im wahrsten Sinne des Wortes – grenzenlose Religionsfreiheit und Minderheitenschutz ein.
Beide Standpunkte halte ich für gerechtfertigt und sie müssen sich nicht widersprechen, wenn man zwischen individueller Religiosität und instrumentalisierter Religion unterscheidet.
Ich bin vielen Menschen unterschiedlichster ausländischer Herkunft und verschiedenster Religionen begegnet. Jeder war auf seine persönliche Art religiös und die meisten waren vollständig integriert, ohne dabei ihre kulturelle/religiöse Identität aufgegeben zu haben. Keiner hatte den Wunsch nach einer Moschee o.ä.; jeder fühlte sich als Mitbürger und/oder Gast in einem Land mit anderen Geplogenheiten als den eigenen, ohne diese zu verdammen. Und komischerweise waren gerade die Muslime deutlich weniger missionarisch veranlagt, als so mancher Hardcore-Christ, der mir seine einzig richtige Denkweise aufnötigen wollte.
Ich würde immer mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln dafür eintreten, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden darf, solange er dabei niemand anderem (der das selbe Recht hat!) auf die Füße tritt. Das gilt entsprechend auch für eine freie und uneingeschränkte Religionsausübung, obwohl ich jeglichen Glauben als Agnostiker nicht nachvollziehen kann und nicht verstehe, wie man mit einigermaßen gesundem Menschenverstand der Meinung sein kann, dass die Befolgung eindeutig menschlicher Regeln für ein eventuelles höheres Wesen von Bedeutung sein kann.
Das Dumme an Religionen ist nur, dass sie das Denken der Menschen von ihrem eigenen Leben entfernen, die entstandene Lücke mit unangreifbarer Ideologie füllen, Gehorsam fordern und damit die Betroffenen für die Interessen von Machthabern empfänglich machen können (Kreuzzüge, Heiliger Krieg u.v.m.) und außerdem wie jede Ideologie schnell eine Eigendynamik bekommen (Exorzismus, Hexenverbrennung, Steinigung von „Sündern“ u.v.m.).
In dieser Beziehung sind die „christlichen Werte“ nicht viel besser als die anderer Religionen. Zwar wurde die Inquisition abgeschafft und physische Gewalt gegen Andersdenkende gehört der Vergangenheit an, aber es bleibt die psychische Unterdrückung. Ich denke da z.B. an die Stellung der katholischen Kirche zur Empfängnisverhütung und die psychischen Konflikte, in die gläubige Frauen dadurch gestürzt werden. Beruflich musste ich oft erleben, wie Glaubensgrundsätze und deren Vermittlung durch Eltern Kinder psychisch verkrüppelt haben. In meinem Bekanntenkreis gibt es bspw. einen sehr intelligenten und erfolgreichen Mann (Geschäftsführer eines großen Unternehmens), dem es selbst 20 Jahre nach Abkehr vom Katholizismus noch den Magen umdreht, wenn seine Frau ihm freitags versehentlich Fisch auftischt. So etwas nenne ich Gehirnwäsche.
Religiöser Fanatismus ermöglicht Selbstmordattentate, lässt „Gläubige“ Fahnen und Puppen von gehassten Repräsentanten verbrennen u.v.m. Dabei gruselt’s mich genauso wie bei Naziaufmärschen, Skinheadprügeleien u.ä.
Genau hier hört für mich Toleranz auf, denn gegenüber intolerantem Verhalten ist kein Verständnis angebracht. Anspruch auf Unfehlbarkeit ist in höchstem Maße dumm und diskriminierend. Gotteshäuser und religiöse Symbole aller Art können (müssen nicht!) diesen Wahnsinn zementieren: Da muss man schon genau schauen, wie viel man davon zulassen will – egal ob es sich um Kruzifixe in Schulen oder den Bau von Minaretten handelt.
Es ist leicht, tolerant zu sein, solange man in Gegenden wohnt, in denen ein Miteinander unterschiedlich denkender Menschen möglich ist und das Leben bunt und interessant macht: Dort macht „Multi-Kulti“ wirklich Sinn. Es dürfte aber in den meisten Städten auch soziale Randgebiete geben, wo das ganz anders aussieht. Aus eigener beruflicher Tätigkeit kenne ich viele Familien, in denen sich die Mitglieder strikt weigern, deutsch zu lernen oder sich auch nur ein Mindestmaß an unsere Verhältnisse anzupassen, gleichzeitig aber vehement auf finanzielle Leistungen pochen; die Überzeugung, zu einer ethnisch und/oder religiösen „besseren“ Personengruppe zu zählen, ist dort nicht selten anzutreffen und wird oft als Rechtfertigung angeführt. Bei solchen Personen und ggf. in Gegenden mit entsprechend hohem Anteil an ihnen ist m.E. jegliches Entgegenkommen falsch verstandene Toleranz.
Damit will ich keinen verdammen; auch für die o.g. Verhaltensweisen gibt es verständliche Gründe. Ich setze meine Hoffnungen eher auf dringend erforderliche Aufklärung und Erziehung. Beides wird jedoch durch religiöses Denken torpediert. In diesem Sinne ist für mich jedes neu errichtet Gotteshaus ein Anschlag auf die Evolution, obwohl ich mich immer dafür einsetzen würde, dass jeder tolerante Gläubige seinen Glauben leben darf. Für mich kein Widerspruch!
Just my two cents
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