AW: Werbeanruf - da war ich platt....
Da kommt jemand (ca. Mitte 20) zuerst an unsere Haustüre...
Der wollte eben auch für so' nen netten Flitzer sammeln - dass mußt Du doch als Altersgenosse verstehen!
P.S:
Hier etwas rechtliches dazu!
Seitdem ist hier die Methode mit der Spendenbüchse doch ziemlich out geworden - hättest Ihm mal ruhig beraten können - ist einfach heutzutage nicht mehr rentalbel um sich damit seinen Boxster zu erschleichen!
Inzwischen versucht es seine Konkurrenz wenigstens viel raffinierter: abgesehen von der bei uns fast wöchentlichen Alt-kleider, -schuh & -fahrradsammlung - ja sogar Saft- & Bierflaschen werden geholt!
(Wobei ich mir nicht sicher bin, ob letztere - statt zurück an den Getränkemarkt - auch irgendwie überteuert nach Afrika verscheuert werden, nur um dort die heimische Industrie etwas ins "gleichgewicht" zu bringen?!

)
Wie dem auch sei - lieber sind mir da noch die vielen mitdenkenden Leute, welche sich die Mühe machen extra zu klingeln und tolle Sachen dabei haben! Ringelblumensalbe, Pferdehaarbürsten, Telefonspartips, Lebensversicherungen, Staubsauger... kann man ja alles noch irgendwie verwerten - aber selbst mein "Seelenheil"?
Glaubt Ihr nicht, dann lest weiter:
Normalerweise hätte ich mich erst überhaupt nicht zur Tür aufgemacht, da ich jedoch jemand anderes erwartet habe, hechtete ich zur Haustüre und öffnete sie:
Etwas überracht vom der Erscheinung und der Tatsache, dass es nicht der war, der es hätte sein sollen, stand ich mit offenem Mund und sichtlich enttäuscht da. Es waren "nur" zwei Männer mittleren Alters - jedoch in überhaus interessanter Erscheinung: der eine buckelig, klein mit Haaren ähnlich
Guildo Horns, einer großen Hakennase und ziemlich bidirektional stehenden Augen (bisschen wie
Quasimodo) und einen schwarzen Hut mit schwarzem Gewand - der zweite hätte ein eineiiger Zwillingsbruder des jüngeren der
Wildecker Herzbuben sein können (was Aussehen und Körperumfang betraf) - dieser hatte einem bayrischen Janker in Grassgrün mit giftgrünen Rüschen an und lächelte mich breit an!
Ich konnte leider sein Grinsen nicht sofort erwidern, sondern beäugte zuerst sorgenvoll und etwas skeptisch den kleineren, mir zugegebenermaßen etwas furchteinflößenderen der beiden (man sagt doch immer Dicke seien gemütlich

- also bestand ja auch vom korpulenteren vermutlich weniger Gefahr).
Der Beäugte muß das wohl bemerkt haben, als er anfing plötzlich unter seinem Gewand ein schwarzes Buch hervorzuziehen und mir direkt unter die Nase zu halten - gerade als ich versuchte meine Augen neu zu fokusieren um die Schrift darauf entziffern zu können - sagte er auch schon: "Wie kommen von den Zeugen Jehovas und möchten Ihnen Ihr Seelenheil ermöglichen..."
Man ihr glaubt nicht wie froh ich da war! Keiner, der mir irgend einen überteuerten Schund verkaufen wollte - und Seelenheil kann man immer brauchen dachte ich - O.K. jetzt vielleicht nicht mehr, aber damals hatte ich auch noch keinen Zetti sondern "nur" nen ollen 3er touring - also hörte ich ihm zu, wie er er sich das so vorstellte...
Er erklärte mir (und ich dabei sehr interessiert) in ca. 15 Minuten was seine Mission war! Kurz zusammengefasst hatte er den Auftrag von Tür zu Tür zu gehen um jeden Menschen die Möglichkeit zu geben zu Jehova zu "kommen", also selbst an das eigene Seelenheil zu gelangen - denn wenn jeder Mensch der Welt muss - egal wie ungläubig er auch sein mag - mindestens einmal im Leben die Chance haben die Wahrheit zu erkennen - zu den Zeugen zu konvertieren, und somit sein Seelenheil zu finden.
Der zweite sprach "Gott sei dank" nicht viel, sondern bestätigte immer nur den anderen mit Ausrufen wie "Genau", "So ist es", "Jawohl", somit konnte ich mich ganz und gar auf den ersten "Herzbuben" einstellen.
Ich fing nach vergangener viertel Stunde Monolog an, ihn bewußt langsam und nachdenklich zu fragen wie viele Leute er denn heute schon mit der selben Methode angetroffen hat - da meinte er bereitwillig auskunftgebend: "Nicht viele, da die meisten tagsüber zur Arbeit oder in der Schule seien - abends jedoch nicht mehr sonderlich gerne die Türe öffnen...", und er müsse es deshalb immer mehrmals versuchen, immer wieder vorbeilaufen und erneut klingeln...
Ich erkannte sein Dilemma sofort als ich auf seine geschundenen Schuhe sah (schwarze, spitzige Latschen mit abgeschabtem Leder) und ab dem Moment kam mein ganzer BWLer in mir durch:
Ich klärte ihn auf, dass seine Methode absolut unwirtschaftlich sei und rechnete ihm vor wieviele Kilometer er und sein Kumpel zusammen zu Fuß in welcher Zeit zurücklegen konnten, bei einer minimalen Erfolgsquote und unglaublich viel verlorener Zeit! Ich deutete ihm an sie müssten das alles viel rationeller machen - ob sie denn noch nie etwas von Call-Centern gehört hätten? Ich rechnete ihm vor wie unglaublich günstig sich einen rießen großen Aktionsradius abdecken ließe. Ebenfalls müssen Fernsehwerbespotts seiner Organisation zur besten Sendezeit (machen andere Parteien ja schließlich auch so) direkt nach den Nachrichten ausgestrahlt werden ("für den folgenden Werbespott sind ... verantwortlich") - notwendig seinen auch Spots in den lokalen Kinos und Handyklingeltöne, denn nur damit erreicht man auch die heutige Jugend!
Flyer auf Schulhöfen, T-Shirts mit Logoaufdruck sowie Merchandising-Produkte bzw. irgend welche nette Gimmiks (z.B. Handytschen mit Logo, Handyschmuck usw.) wären natürlich auch nicht schlecht!
Er hörte innteressiert zu und versuchte mich mit einem Spruch aus seinem schwarzen Buch abzulenken - jedoch erfolglos - ich begann unbeirrt weiter:
Ich meinte "Gehet hin in alle Welt und verkündet die Heilsbotschaft allen Geschöpfen..." (Mk 16,15 f.) sei zwar ein netter Spruch, man müsse ihn aber im Kontext der Zeit verstehen und dürfe ihn nicht wörtlich nehmen - als der Satz entstand gab es schließlich noch keine 80 Mio. konsumorientierter Leute in Deutschland - also darf man das Wort "gehen" ruhig etwas "neuer" definieren!
Um eine etwas konservativere aber auch sehr finanzstarke Gruppe zu erreichen - wären großflächige Anzeigen in der FAZ, Manager Magazin, ZEIT und Welt notwenig - aber natürlich darf auch die Bild sowie die elektronischen Medien auf keinen Fall fehlen - es folgte von mir eine 30 Minütige Exkursion in den Bereich eCommerce und Internet (mein Lieblingsfach...

).
Ich bin mir nun nicht mehr sicher, ob es
diese Seite schon vor meinem Exkurs gab oder ob sie erst dadurch entstanden sein sollte - egal - mir gefällt natürlich immer wenn ich im Nachhinein jemandem einen brauchbaren Tipp geben konnte!
Der Grundsatz "...und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt" (Mt 28,19 f.). müsse natürlich in einer heutigen schnellebigen, chaotisch organisierten Zeit, mit hoher Scheidungsquote, unkaren Trends, instabilen Marken, steigenden Steuern und wechselnden modischen Erscheinungen auch überdacht werden. Wer heute "hipp" ist, ist morgen vielleicht schon völlig "out" - wer will da noch etwa "bis ans Ende der Welt?" nicht mehr "trendy" sein?
Wie dem auch sei - das gesamte Gespräch dauerte vor meiner Türe insgesamt ca. 3 Stunden - ich glaube ich konnte Ihnen wirklich helfen - und ich muß sagen, sowas tut tatsächlich in der Seele gut

- auch wenn sie vermutlich noch nicht alle meine Ratschläge umgesetzt haben - aber ich verstehe das, in einem so kurzen Seminar kann man nicht alles sofort verstehen, was andere in 10 langen Studienjahren mühsam gelernt haben...
P.S.:
Die Story ist kein Witz und hat sich genau so zugetragen - die Herren haben sich anschließend nicht wie etwa von mir zuerst vermutet mit "Los lass uns endlich von diesem Spinner abhauen" sondern mit "vielen dank, für das sehr aufschlußreiche und intensive Gespräch" bedankt, "wir möchten es gerne wenn sie es erlauben fortsetzen!"...
Freundlicherweise kommen Herren der selben Organisation nun regelmäßig (so einmal im Monat) bei mir vorbei - leider fehlt mir momenan etwas die Zeit für so lange und leider auch unentgeltliche Beratungsgespräche...