Crash mit geliehenem Jaguar in Stuttgart

Mal eine Frage an die juristisch Bewanderten:

Wenn ein Auto von der Polizei eingezogen wird, wird dann das Auto wie ein Werkzeug, welches ggfs als "Waffe" benutzt werden kann, gesehen, damit dieser auch über Tage einbehalten werden kann?

Ich unterstelle der Berliner Polizei einfach mal, dass diese nicht Maßnahmen vornimmt, ohne eine rechtliche Absicherung zu haben. Zumindest hat für mich der Schutz von Leben Vorrang vor Eigentumsrückgabe (Zeitdauer von möglichen Auswertungen usw)

Wenn es einen Vermieter oder Tante, Onkel, Opa, Oma trifft, ist es für mich "Schuld: eigene, Pech gehabt", muss man eben aufpassen, wem man ein PS - starkes Auto verleiht oder überlässt.

Ich verstehe den Einwurf von Sew, es kann nicht sein, dass ein Vermieter oder die Verwandtschaft besser gestellt wird.
 
@InXS, falls ich nicht auf dem Holzweg bin, dann erfolgt die Einziehung des bei der Tat verwendeten Fahrzeugs nach den §§ 74/74a StGB. Jedenfalls verweist § 315f (Einziehung) auf § 74a StGB.

Der Wortlaut in Auszügen:

"§ 74 Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern
(1) Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht (Tatprodukte) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), können eingezogen werden.
...
(3) Die Einziehung ist nur zulässig, wenn die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen. ...

§ 74a Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei anderen
Verweist ein Gesetz auf diese Vorschrift, können Gegenstände abweichend von § 74 Absatz 3 auch dann eingezogen werden, wenn derjenige, dem sie zur Zeit der Entscheidung gehören oder zustehen, 1. mindestens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass sie als Tatmittel verwendet worden oder Tatobjekt gewesen sind, oder
2. sie in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, in verwerflicher Weise erworben hat."


Kurz und einfach gesagt: Es geht nicht um eine Verwendung des Fahrzeugs als "Waffe", sondern die o.a. Vorschriften erlauben die Einziehung bereits dann, wenn das Fahrzeug zur Tatbegehung verwendet wurde ("Tatmittel"). Das ist natürlich der Fall, wenn der Raser beim Rasen im Fahrzeug sitzt.

Wichtig dabei ist: Sobald das Fahrzeug einem Dritten gehört, muss sorgfältig das Vorliegen der Voraussetzungen des § 74a StGB (insb. dessen Nr. 1) geprüft werden. Falls diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, muss die Einziehung zudem noch verhältnismäßig sein (das ergibt sich aus § 74f StGB). Das wäre beispielsweise (m. E.) dann nicht der Fall, wenn der Wert des Fahrzeugs ganz erheblich größer ist als der Unrechtsgehalt der Tat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Verhältnismäßigkeit wird also nur in Frage gestellt, wenn das KFZ nicht dem Täter gehört. Gehört es dem Täter ist es immer verhältnismäßig. Für mich zwei sehr unterschiedliche Fälle.

Was gibt’s da zu differenzieren? Verstehe ich echt nicht. Zwei Deppen stellen absolut das Gleiche an. Bei dem einen ist es weg, bei dem anderen ist es nicht verhältnismäßig weil nicht sein Eigentum.
 
Die Verhältnismäßigkeit wird also nur in Frage gestellt, wenn das KFZ nicht dem Täter gehört. ...
Was gibt’s da zu differenzieren? Verstehe ich echt nicht. ...
Du verstehst es wirklich ziemlich falsch (nicht böse gemeint), es lässt sich aber wohl auch nicht in wenigen Worten erklären.
 
Die Verhältnismäßigkeit wird also nur in Frage gestellt, wenn das KFZ nicht dem Täter gehört. Gehört es dem Täter ist es immer verhältnismäßig. Für mich zwei sehr unterschiedliche Fälle.

Was gibt’s da zu differenzieren? Verstehe ich echt nicht. Zwei Deppen stellen absolut das Gleiche an. Bei dem einen ist es weg, bei dem anderen ist es nicht verhältnismäßig weil nicht sein Eigentum.

Es geht nur darum, ob das Auto kpl weg ist und niemand mehr Zugriff auf das Eigentum hat.
Ist der Fahrer Eigentümer kann das passieren.
Ist der Vermieter Eigentümer, geht das nicht (so einfach) Es sei denn der Vermieter hätte vor Antritt der Fahrt davon Kenntnis erlangt, dass der Mieter damit nur rasen will oder davon hätte Kenntnis haben müssen, daß der Mieter ein Vollidiot ist, bei dem die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass er ohnehin Rasen wird.

Das zu beweisen, dürfte schwer werden, da der Vermieter nicht so dumm sein wird und das zugeben wird. Dann wäre das Eigentum am Wagen ja futsch und er hätte einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden.
 
Hi,

dann erklär es mir bitte richtig. Auch nicht böse aufgenommen :)
Es geht auch nicht um kurzfristige Aufbewahrung, sondern um die Enteignung.

@InXS
Also wird so fremdes Eigentum (welches Missbraucht wurde) beschützt. Kann ich verstehen. Da sollte man aber ansetzten. Denn wenn die Leihfirma/Papa/Kollege das Auto verliert, darf er sich gerne das Geld vom Verursacher wiederholen. Damit hätte es auch eine abschreckende Wirkung und nicht jeder Depp kommt so einfach an ein schnelles Auto (Sinn lassen wir mal außen vor, denn mit einem nicht schnellen Auto kann man genauso Mist anstellen).

Spielen wir den Fall mal für etwas anderes durch:
Wenn jemand mit seinem Auto fahrlässig was falsch macht, kann die Versicherung denn Verursacher in Regress nehmen und sich das Geld zurück hohlen. Da sagt dann auch niemand (zurecht), dass es unverhältnismäßig wäre.

Oder in dem konkreten Fall hier. Das Auto ist schrott. Die Versicherung wird es ersetzen. Damit ist das Thema durch? Oder geht die Versicherung gegen den Verursacher vor?

Für mich geht da einfach keine klare Linie hervor, und damit werden auch nicht alle gleich behandelt. Strafen an Einkommen koppeln und entsprechend bestrafen wäre mMn angebrachter gewesen.
 

Scheint dann wohl geklärt zu sein, zumindest scheint der Fahrer regelmäßig Medikamente einzunehmen.
 
Und hier ein aktueller Nachtrag zur Klimadiskussion, die sich nach dem Berliner Unfall ja in Bezug auf SUVs ebenfalls entsponnen hatte.
 
Die Statistik passt.
165 Mio mehr SUV auf der Straße, bedeuten doch zwangsläufig mehr CO2-Ausstoß durch SUV's.
Daraus resultiert dann aber auch, dass entsprechend weniger "normale" PKW auf die Straße kommen. Weniger PKW, bedeutet weniger CO2 dieser Spezies.

Man muss die Kommentierung der Statistik einfach nur für seine Weltanschauung hinbiegen, schon sind wieder die SUV schuld.
Naja, besser als wenn es die Sportwagen wären :) :-)
 
544mio t - 75mio t = 469mio t. mehr durch SUViin 8 Jahren
gibt der Link oben her
Wäre natürlich interessant wie die Definition SUV gewählt wurde
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Prozessbericht Tag 9

Es werden Videos der meistgefahrenen Strecken des Angeklagten am Unfalltag gezeigt, die ein Videofahrzeug der Polizei aufgenommen hat.

Aufgrund des von den meisten Zeugen der Jaguar-Fahrten nicht 100 %ig sicheren Identifikation des späteren Unfallfahrzeugs hat die Polizei die Anzahl der in Stuttgart und den sechs umliegenden Zulassungsbezirken gemeldeten F-Type Coupé (ohne Einschränkung der Farbe) erhoben. Neben dem Unfallwagen handelt es sich um 21 Exemplare. (Für mich ein unerwartet niedriger Wert.) Diese sind "mit deutlicher Mehrheit" weiß.

Vorsitzende Richterin: "Ach ist Weiß da besonders beliebt? Naja, Ferraris sind ja soviel ich weiß meistens rot, vielleicht ist bei den Dingern ja Weiß die typische Farbe."
Die Sportwagen-Affinität der etwa 50-jährigen Ur-Schwäbin bewegt sich in engen Grenzen, trotzdem beherrscht sie inzwischen sogar die verschiedenen Anordnungen der Auspuffrohre des F-Type in Abhängigkeit von der Zylinderzahl.

Die Halter aller 21 Wagen wurden von der Polizei angeschrieben und gefragt, ob und wo der Wagen am Unfalltag unterwegs war. Alle haben geantwortet. 4 der Autos haben eine einmalige Fahrt durch Stuttgart gemacht, davon hat nur eines eins der zwei Haupt-Aktionsfelder des Angeklagten tangiert. Dass Zeugen ein anderes als das Unfallfahrzeug beobachtet haben, ist deshalb wenig wahrscheinlich. Mit demselben Ortskennzeichen ist nur ein einziger F-Type zugelassen, und zwar auf einen Handwerksbetrieb. Gefahren wird er nahezu ausschließlich von der Ehefrau des Inhabers. Er ist ebenfalls weiß, soll den ganzen Tag auf dem Firmengelände und ab dem Abend auf einer nahen Straße abgestellt und nicht in Stuttgart gewesen sein.

Die Verteidiger fragen, ob die Aufenthaltsangaben dieses Wagens von der Polizei überprüft wurden. Dies wird verneint. Die Vorsitzende kündigt an, um einem Beweisantrag der Verteidigung zuvorzukommen, den Halter und seine Ehefrau als Zeugen zu laden.

Als Zeuge berichtet ein Anwohner nahe dem Unfallort, er habe in den Abendstunden mindestens dreimal ein besonders laut und sportlich klingendes Fahrzeug durch das offene Fenster gehört, allerdings nicht gesehen. Es sei aber sicher immer dasselbe Geräusch/Fahrzeug gewesen. Nach mehreren Vorbeifahrten meldete er es telefonisch der ca. 1 km entfernten Polizeiwache. Der Polizist habe sich unwillig gezeigt, etwas zu unternehmen und eine Art Disput angefangen. ("Ist das Auto nur laut oder ist es unzulässig laut?... Für eine Geschwindigkeitsmessung habe ich zur Zeit kein Equipment zur Verfügung… Einen Streifenwagen, der da mal hinfährt, habe ich gerade nicht da…"). Nach längerem Hin und Her habe der Zeuge dann aufgegeben. Darüber spricht er auch in diesem kurz nach dem Unfall veröffentlichten Video (ab 0:33):

Ein 18-jähriger Mitfahrer des Angeklagten berichtet, dass dieser ihn am Unfalltag aus dem heimischen Nordbahnhofsviertel zu seiner Fahrschule im Stadtzentrum gefahren habe. Dabei sei er nie schneller als 60 gefahren und habe nur einmal an der Ampel stehend ganz leicht aufs Gas getippt.

Als weiterer Zeuge sagt ein 29-jähriger Mitfahrer aus. Er habe nicht zum eigentlichen Umfeld des Angeklagten gehört, weil er ja wesentlich älter und im Viertel und der Shisha-Bar deshalb eine Art Respektperson sei. Diesen Anspruch untermauerte er eindrucksvoll mit einem Wortschatz, der im Wesentlichen aus den Worten "ganz normal" besteht und damit selbst für die Beantwortung einfacher Fragen der Vorsitzenden nicht ausreichte. Etwa so:

VORSITZENDE: "Herr X, wo sind Sie denn… "
ZEUGE: "Ganz normal."
VORSITZENDE: "Moment, ich wollte erstmal wissen, WO sie mit dem Angeklagten langgefahren sind, und noch nicht, WIE."
ZEUGE: "Ja ganz normal bis zur Ampel und dann noch weiter gradeaus."
VORSITZENDE: "Bis zu welcher Ampel und auf welcher Straße?"
ZEUGE: "Ich weiß nicht wie die Straße heißt. Ich fahr selber auch immer so. Ganz normal halt."
VORSITZENDE: "Aber ich weiß nicht, wie Sie immer fahren, verstehen Sie, ich bin ja meist nicht dabei. Wo sind Sie denn eingestiegen?"
ZEUGE: "Bei mir vor der Tür."
VORSITZENDE (schlägt in ihren Unterlagen nach): "Also in der Nordbahnhofstraße XY. Und von dort stadteinwärts oder stadtauswärts?"
ZEUGE: "Äh… ja wie gesagt, ganz normal. Milchhof vor und dann runter."
VORSITZENDE: "Gut, dann sind Sie wahrscheinlich die Nordbahnhofstraße stadteinwärts gefahren. Und dann an der ersten Ampel nach rechts in die Friedhofstraße oder noch geradeaus in Richtung Wolframstraße?"
ZEUGE: "Gradeaus. Ganz normal. Hab ich ja schon gesagt."
VORSITZENDE: "Dann sind Sie wahrscheinlich die Nordbahnhofstraße bis zur Wolframstraße gefahren, dort rechts in diese eingebogen und dann an der nächsten Ampel nach rechts in die Heilbronner Straße, ist das richtig?"
ZEUGE: "Ja wahrscheinlich, wie gesagt, ich weiß die Straßennahmen nicht."
VORSITZENDE: "Gut. Und WIE ist der Herr T. da gefahren?"
ZEUGE: "Ganz normal. Hab ich Ihnen ja schon gesagt. Nicht zu schnell, wie man halt fährt. Ganz normal halt."

Die kabarettreife Einlage sorgte in der nächsten Pause für reichlich Gesprächsstoff :-)

Eine Polizistin, die sich am Unfallort um die Opfer gekümmert hat, berichtet von ihrem Einsatz. Nachdem die Toten aus ihrem Wagen geborgen waren, wurden sie nach Ausweispapieren durchsucht, die in den Geldbörsen auch gefunden wurden. Kontaktadressen von Angehörigen waren jedoch nicht verzeichnet. Nach längerem Versuchen gelang es, das Smartphone des Fahrers mit seinem Fingerabdruck zu entsperren. Über die Suche nach seinem Nachnamen in der Kontaktliste wurden Angaben zu seinem Vater gefunden. (Die Kontaktaufnahme mit den Eltern erfolgte natürlich persönlich durch die Polizei vor Ort am Niederrhein.)

Die Vorsitzende fragt die Polizistin auch nach ihrem Eindruck von dem Autovermieter vor Ort, der sich vor Gericht als Zeuge so auffallend betroffen von den Unfallfolgen gezeigt habe (ich berichtete), und ob sie ihm seine Betroffenheit "abnehme". Die Polizistin sagte, auf jeden Fall, er und seine Frau seien vor Ort sichtlich erschüttert gewesen. Seine Frau habe geweint, als sie erfuhr, dass durch ihren Jaguar zwei Menschen getötet worden waren. - Auch mein Eindruck ist, dass der Vermieter von all den Dutzenden von Zeugen, insbesondere Mitfahrern, der Einzige war, dem das Schicksal der Toten naheging. (Wie ebenfalls berichtet, gab er sein Geschäft am Tag nach dem Unfall auf.)

Zwei Jaguar-Mitfahrer aus dem Umfeld des Angeklagten berichten von ihren Fahrten, einmal die offensichtliche "Standardstrecke" rund ums Nordbahnhofsviertel, einmal ins Stadtzentrum, dort eine bekannte Poserstraße rauf und wieder runter. Der letztere Mitfahrer interessiert sich überhaupt nicht für Autos.
Beisitzende Richterin: "Warum fährt man dann überhaupt mit, wenn einen das Auto gar nicht interessiert? Nur um die Zeit rumzukriegen?" Zeuge: "Ja klar, das ist doch eine gute Gelegenheit dafür."

Ein 19-jähriger Zeuge ebenfalls aus dem Umfeld des Angeklagten wird in Handschließen, wie es offiziell heißt, aus der Untersuchungshaft vorgeführt. Im Rahmen der Standardansagen und Fragen der Vorsitzenden zu Beginn jeder Zeugenvernehmung (Personalien, Wahrheitspflicht/Strafbarkeit von Falschaussagen, mit dem Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert? etc.) antwortet der Zeuge auf die Frage "Und wegen einer Falschaussage als Zeuge sind Sie auch noch nie vor Gericht gestanden?": "Doch." Die Vorsitzende blickt ungläubig auf: "Was haben Sie gesagt?" Zeuge: "Ja, bin ich." Die Vorsitzende blickt die 4 Mitglieder der Kammer an und sagt "Diese Antwort hab ich auf die Frage noch nie bekommen. In all den Jahren." Sie fragt den Zeugen, worum es in seiner Falschaussage gegangen war. Er sagt, bei der Vernehmung zu einer Kneipenschlägerei habe er für einen Kumpel gelogen. Die Vorsitzende ermahnt ihn, sich dann aber diesmal "umso mehr an die Wahrheit zu halten" und vernimmt ihn trotzdem.

Auch er fuhr im Jaguar mit und ist hinsichtlich des Fahrstils etwas auskunftsfreudiger als die Anderen. Der Angeklagte sei viel zu schnell gefahren. Auf die Frage, ob er Angst gehabt habe, sagt er "Ja, ich hatte Angst. Sehr große Angst sogar. Wir sind am Milchhof runter über 100 gefahren [Tempo 30 Zone]. Ich hab zu ihm gesagt, er soll mal normaler fahren." Danach sei der Fahrer langsamer, aber immer noch viel zu schnell gefahren. Es habe Streit gegeben wegen der Fahrweise, und beim Aussteigen habe er dem Fahrer gesagt "Mit dir fahr ich nie wieder." Vor der Shisha-Bar habe er die Anderen, die dort zum Mitfahren förmlich Schlange standen (es sei ein regelrechter Dauer-Fahrbetrieb gewesen, allein die Mitfahrten, die er mitbekommen habe, seien etwa 25 Stück gewesen) gewarnt: "Fahrt nicht mit dem! Das ist echt gefährlich!"

Beim Verlassen des Zeugenstandes würdigt er den Angeklagten keines Blickes, im Gegensatz zu allen anderen Kumpels, die ihm alle irgendwann einen kurzen, meist freundschaftlich-mitleidigen Blick zugeworfen haben.
 
Zuletzt bearbeitet:

Auszug:

„... Eine zentrale Frage, die das Gutachten beantwortet, ist die, wann der Jaguar-Fahrer den entgegen kommenden Ford sehen konnte. Das sei in der lang gezogenen Rechtskurve, welche die Rosensteinstraße macht, 105 Meter entfernt der Fall gewesen. Bei Tempo 50 hätte der Anhalteweg 28 Meter betragen. Wäre der Jaguar mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit unterwegs gewesen, hätte er also rechtzeitig stoppen können. Auch bei 130 bis 145 Stundenkilometern wäre er noch rechtzeitig zum Stehen gekommen.

Da der Fahrer jedoch bis drei Sekunden vor dem Unfall Vollgas gab, wäre es eng geworden. Deswegen machte der Jaguarfahrer eine Ausweichbewegung nach links. All das hat ein Steuergerät, das im Jaguar für die Airbags und die Gurtstraffer aufgezeichnet. Diese Lenkbewegung führte dazu, dass der junge Fahrer die Kontrolle verlor. Beim Aufprall habe er noch mehr als 110 Kilometer pro Stunde draufgehabt, so der Gutachter. Eine erste Bremsung habe er schon vor dem Ausweichmanöver angefangen. Diese sieht der Fachmann aber in keinem Zusammenhang mit dem entgegen kommenden Auto: „An der Stelle konnte er den Wagen noch nicht sehen“, erläuterte er. ...“


Den (zwar syntaktisch fehlerhaften) markierten Satz finde ich - unter all dem anderen - inhaltlich beachtenswert. Die Datenerfassung ist keine neue Erkenntnis, aber dennoch m. E. in ihren Auswirkungen beeindruckend.
 
Heute werden die Plädoyers gehalten unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
 
6 Jahre für Mord.... alles klar..... ich komme mit den mir erscheinenden milden Strafen nicht mehr klar.
Ein Jurist wird das anders sehen. Der Großteil der Bevölkerung sicher nicht.

Gruss
Markus
 
@Back-to-Z
Bitte nicht übersehen, dass die Strafe nach Jugendstrafrecht zustande gekommen ist. Das ist mit dem allgemeinen Strafrecht nicht vergleichbar. Denn beim Jugendstrafrecht werden andere Ziele verfolgt. Deswegen steht dabei auch der Täter mehr im Fokus des Verfahrens.
 
Hast recht. Der arme muss ja wieder auf die Beine kommen. ...
Naja, man kann durchaus der Auffassung zuneigen, dass er sein Leben lang nicht mehr auf die Beine kommen soll. Dann kann man ihn ruhig länger einsperren. Nur müssen dann die Steuerzahler sehr wahrscheinlich ein Leben lang für ihn aufkommen, seine weiteren Straftaten nach der Entlassung aus dem Gefängnis ertragen und im Übrigen seine Gefängnisaufenthalte finanzieren.

Und das alles bringt dem Kind die Mutter nicht wieder. Sondern es schädigt nur weitergehend die Gesellschaft. Ist dir die harte Strafe all das wert, Markus?

Die Frage ist nicht provokant gemeint, sondern ich will nur aufzeigen, dass das Thema mehrere Seiten hat. In der Tat wird das Verhältnis von/zwischen Sühne und Resozialisierung in so ziemlich jeder Strafrechtsordnung diskutiert. :unsure:

Auch ich finde allerdings, dass unser Jugendstrafrecht allmählich eine gewisse Verschärfung vertragen könnte. Leider werden - vereinfacht gesagt - die Täter ja immer jünger und die jungen Täter immer extremer.
 
Prozessbericht Tag 10


An seinem 21. Geburtstag sieht der Angeklagte, als er wie immer in Handschließen in den Saal geführt wird, auch nicht weniger unglücklich aus als an allen anderen Tagen. Immerhin sind aus diesem Anlass etwa ein Dutzend Verwandte zusätzlich zu seiner Familie, die in wechselnder Besetzung jeden Verhandlungstag verfolgt, im Publikum erschienen. Erstmals seit Prozessbeginn sind die Eltern heute nicht anwesend. Möglicherweise befürchten sie, von den Eltern der Unfallopfer angesprochen zu werden, da diese heute aussagen und über ihre Kinder sprechen sollen, aber das ist natürlich reine Spekulation.

Erste Zeugin ist eine Polizeikommissarin, die zahlreiche Zeugenvernehmungen durchgeführt hat und einige zusammenfassende Aussagen hierzu macht. Dabei kommt auch nochmals zur Sprache, dass die Aussagen des dem Jaguar entgegenkommenden Linksabbiegers dazu, ob er diesen vorher hatte herannahen sehen oder nicht, widersprüchlich bleiben. Dies hatte er in seiner ersten Vernehmung angegeben und später widerrufen. Meiner Vermutung nach befürchtete er, möglicherweise doch noch belangt zu werden, weil er dem Jaguar ja in gewisser Weise die Vorfahrt genommen hat, der ja im Zuge des dadurch nötigen Ausweichmanövers außer Kontrolle geriet. Allerdings war ihm dies von Anfang an nie vorgeworfen worden, weil die Ermittlungsbehörden den Standpunkt vertraten, er habe die Geschwindigkeit des für ihn nur frontal sichtbaren Jaguar - zumal bei Dunkelheit - weder einschätzen können, noch damit rechnen müssen, dass dieser mit deutlich mehr als dem Dreifachen der zulässigen Geschwindigkeit unterwegs war.

Nächster Zeuge ist der Kfz-kundiger Polizist, der sich um das Gerät, das die relevanten Fahrdaten des Jaguar gespeichert hat, gekümmert hat. Auf Befragen der Vorsitzenden Richterin erklärt er, dass er es persönlich mit einem Kollegen zusammen ausgebaut, danach nicht aus den Augen gelassen und in seinem Büro in einem Tresor deponiert hat.

Er hatte es dabei und zeigte es dem Gericht. Es handelt sich um einen unscheinbaren schwarzen Kasten von der Größe zweier nebeneinanderliegender Zigarettenschachteln. Sein Innenleben ist das Steuergerät für die Rückhaltesysteme, das für die Optimierung von deren Funktionen bei einem Unfall diverse relevante Fahrdaten wie das Agieren von ESP, ABS und diverser anderer Fahrparameter registriert. Grund für sein Vorhandensein ist eine entsprechende Gesetzgebung der USA, die dies für alle dort neu zugelassenen PKW vorschreibt. In die entsprechenden Fahrzeugtypen wird es grundsätzlich einheitlich eingebaut. Nur dieser US-Gesetzgebung verdankt die Justiz in diesem Fall die, wie die Vorsitzende es nannte, "komfortable Situation", die letzten Fahrmeter des Jaguar weitgehend rekonstruieren zu können. Zweck des US-Gesetzes ist es, mittels gespeicherter Fahrdaten den Fahrzeugherstellern die Möglichkeit zu geben, nach schweren Unfällen das Zusammenspiel der Systeme analysieren und die Sicherheitssysteme optimieren und den Insassenschutz verbessern zu können. Die hier vorgenommene Datenverwertung für Zwecke der Justiz ist deshalb ein "Abfallprodukt" dieser Technologie.

Die beteiligten Systeme und Sensoren speichern bei Fahrt ihre Aktivitätsdaten permanent und überschreiben ebenso permanent dabei solche, die älter als 5 Sekunden sind. Registriert das zentrale Airbag-Steuergerät ein sogenanntes "Event", also eine Erschütterung, die eine gewisse Stärke übersteigt, ruft das Airbag-Steuergerät den Speicherdatenbestand sämtlicher Systeme und Sensoren ab und speichert sie selbst dauerhaft und resistent gegen Unterbrechungen der Stromversorgung. Einzige Ausnahme von dem vorbeschriebenen Speicherzeitraum der jeweils zurückliegenden 5 Sekunden ist übrigens der Sensor für die Fahrzeug-Gierrate (Drehung um die Hochachse): dieser speichert seine Daten bei einem "Event" eine Sekunde davor und 4 Sekunden danach, um die Fahrzeugbewegung nach einem Aufprall zu dokumentieren.

Der in Frankreich ansässige Hersteller kann als einzige Instanz den Speicher des Gerätes auswerten. Er verlangte für die Herausgabe von Auwertungsdaten eine Anordnung der Staatsanwaltschaft.

Die Auswertungen liegen für jedes System/Sensor in Form einer Tabelle oder Kurvengrafik vor. Sie enthält die Spalten bzw. x-Achsen-Werte 5.0, 4.5, 4.0 etc. bis 0. Es handelt sich um die Sekundenzahlen vor dem "Event" Die Daten werden nur alle 0,5 Sekunden punktuell erhoben. Was jeweils zwischen diesen Messzeitpunkten passiert, wird nicht dokumentiert.

Sämtliche Tabellen wurden über Beamer projiziert.

Fahrgeschwindigkeit:
Bei 5.0 liegt der km/h-Wert bei 141,39
Er steigt dann von 4.5 bis 3.0 kontinuierlich an und erreicht bei 2.5 den höchsten Wert mit 168,69. Danach fallen die Werte bis auf 114,41 km/h in Sekunde 0.

Gaspedalstellung:
Die Ausschöpfung des Pedalwegs wird in % ausgewiesen, also: keine Pedalbetätigung = 0, Vollgasstellung = 100.
Bei Sekunde 4.5 bis 2.5 ist der Wert jeweils 100, bei 2.0 bis 0.5 ist er 0, in Sekunde 0 ist er 37. (Letzteres kann sowohl auf eine unwillkürliche Körperbewegung des Fahrers beim Aufprall als auch auf das Eigengewicht des Gaspedals zurückgeführt werden.)

Lenkungsstellung:
(Darstellung als Kurve, Links-Einschlag = positive Werte, Rechts-Einschlag = negative Werte)
In den ersten Messzeitpunkten geradeaus, dann leichter Links-Einschlag, dann starker Rechts-Einschlag.

Fahrzeug-Rollbewegung:
Ansteigend von 0 auf 4°, also minimal, bedeutet ruhige Fahrzeuglage und äußerst stabilen Fahrzustand.

Gierraten:
(Darstellung als Kurve, nach links = positive Werte, nach rechts = negative Werte)
Sekunden 1 bis 0: Kurve auf der 0-Linie = keine Drehbewegung, also Geradeausfahrt - bestätigt den Passus in der Anklageschrift, dass der Wagen trotz stark eingeschlagener Lenkung geradeausfahrend in den Citroën geschossen ist.
Ab Sekunde 0.5 Drehungen in zwei verschiedene Richtungen nacheinander (nach der Kollision).

Getriebeaktivität:
Zuerst 4. Gang, dann (ab Gaspedalstellung 0 %) Schaltvorgang, zuletzt 5. Gang.
(Bei der Gelegenheit klang im Rahmen der Diskussion am Rande an, dass das Getriebe des F-Type R eines der leistungsstärksten Wandlergetriebe auf dem Weltmarkt ist und ein Drehmoment von 1000 Nm verkraften kann.)

Longitudinalbeschleunigung (Stärke der Beschleunigung bzw. Verzögerung);
(Darstellung als Kurve, Beschleunigung = positive Werte, Verzögerung = negative Werte)
Zuerst über 0, jedoch von Anfang an fallend (selbst beim F-Type R sinkt die Beschleunigung mit zunehmender Geschwindigkeit) ;-) dann fast senkrechter Absturz der Kurve.

Bremsbetätigung
(Aufgezeichnet wird die Aktivität des Bremslichtschalters: Aus = 0, An = 1. Die Bremsintensität wird also nicht gemessen.):
Bis Sekunde 2.5: 0, danach; 1.

ABS:
Keine Aktivität.

Eventuell gab noch ein, zwei weitere Parameter, aber mehr habe ich nicht im Kopf behalten. (Wie schon mal gesagt darf man ja keinerlei Gegenstände in den Gerichtssaal mitnehmen, so dass man, anders als die Pressevertreter, nichts notieren kann.)

Ausgewertet wurde auch auch das OBD (On Board Diagnosis System), das (wenig überraschenderweise) diverse Defekte anzeigte. Es wirkte irgendwie etwas befremdlich, als der Polizist bierernst mitteilte, dass bspw. die "Blinker vorne links und rechts ohne Funktion" gewesen seinen. Die Vorsitzende veranlasste das zu dem Einwurf "Also ich verstehe ja nicht viel von Autos, aber dass nach SO einem Unfall die Blinker nicht mehr tun, leuchtet mir schon unmittelbar ein."

Die Verteidigung unternahm einen verzweifelten Vorstoß mit der Frage, die Flut der OBD-Fehlermeldungen könne ja auch auf Störungen am Fahrzeug bereits vor dem Unfall hindeuten. Das OBD hat aber ausnahmslos sämtliche ausgelesenen Fehler brav mit einem Zeitstempel vom Unfallzeitpunkt versehen. Damit ist natürlich gleichzeitig dokumentiert, dass der Jaguar vor dem Unfall nicht die geringste Störung hatte.

Nächste Zeugin ist die rumänische Bedienung aus der Shisha-Bar des Angeklagten und seines Umfelds. Da sie nicht Deutsch spricht (ihren Dienst bestreitet sie auf Englisch), sagt sie auf Rumänisch aus und wird gedolmetscht. Der Angeklagte sei stets höflich, ruhig und zurückhaltend aufgetreten. Alkohol habe er nie getrunken, sondern meistens Fanta :-) In seiner Clique habe er eher eine etwas schüchterne Rolle gehabt, sei aber durchaus integriert gewesen. Am Unfalltag habe er einen spürbar glücklicheren Eindruck als gewöhnlich gemacht.

Wie schon angekündigt, sollen in dem Verfahren auch die Opfer ein Gesicht bekommen, indem etwas von ihrem Leben und ihren Persönlichkeiten bekannt wird. Die Vorsitzende hatte den Eltern freigestellt, dies von Verwandten oder engen Freunden übernehmen zu lassen. Die Eltern haben sich aber dazu entschieden, dass jeweils einer von ihnen dies übernimmt. Formal erfolgt dies als Zeugenvernehmung.

Die Vorsitzende führt einleitend aus, dass eine solche "Vernehmung" auch für sie das erste Mal ist. Sie wisse, dass es für die Eltern nicht leicht ist, und es könnten jederzeit Unterbrechungen gemacht werden.

Als erste wird die Mutter der getöteten Frau in den Zeugenstand gebeten. Sie ist medizinische Fachangestellte in Erkrath bei Düsseldorf und in einem intakten beruflichen und privaten Umfeld gut eingebunden. Nach dem Unfall war sie sieben Wochen krankgeschrieben.

Ihre Tochter war sportlich und abenteuerlustig, liebte Bungee- und Fallschirmspringen. Ihre große Leidenschaft aber war das Reisen, ihr Traum und Ziel deshalb, in der Tourismusbranche zu arbeiten. Ein Jahr war sie als Au Pair in den USA. Danach hat sie ein Studium der Touristik (o. ä.) in Düsseldorf begonnen. Im Rahmen eines Nebenjobs im dortigen Ufa-Palast lernte sie ihren späteren Freund kennen, von dem sie zuhause zuerst stets nur erzählte, da sei "so ein blöder Typ, der sie immer anquatscht"... Im Oktober 2018 zog sie mit ihm nach Stuttgart in eine für den Übergang von ihrem gemeinsamen Arbeitgeber, dem dortigen Ufa-Palast, gestellte Wohnung.

Die Vorsitzende fragt, wie es ihr heute geht. Sie sagt, ihre Tochter fehle ihr jeden Tag, ihr Lachen und ihr stundenlanges ununterbrochenes Reden, das manchmal anstrengend gewesen sei. Jetzt sei es so still geworden. An dieser Stelle unterbricht sie ihre Rede, wendet ihren Blick zum Angeklagten, der die ganze Zeit mit gesenktem Blick dasitzt, und sieht ihn lange und durchdringend an.

Die Vorsitzende fragt, ob es richtig sei, dass die Tochter ihr einziges Kind war. Sie sagt Ja und bricht in Tränen aus. Nach einiger Zeit fängt sie sich aber wieder und spricht gefasst weiter.

Die Frage der Vorsitzenden, ob sie und ihr Mann psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, bejaht sie, und die helfe ihnen auch.

Anschließend tritt für den getöteten Mann sein Vater in den Zeugenstand. Er erklärt zunächst vorab, warum sein anderer Sohn, der ebenfalls Nebenkläger ist und durch einen eigenen Anwalt vertreten wird, dem Prozess fernbleibt. Er hat in der Unfallnacht, nachdem er die Nachricht vom Tod seines Bruders bekommen hatte, gegoogelt und prompt ein (später aus dem Netz entferntes) Bild gefunden, das seinen toten Bruder im Citroën zeigte. Das habe ihm einen derartigen Schock versetzt, dass er mit dem gesamten Geschehen überhaupt nicht umgehen könne und jedem Gespräch darüber oder sonstiger Beschäftigung damit aus dem Weg gehe. Deshalb schaffe er es auch nicht, zur Verhandlung zu kommen.

Er (der Vater) ist im Raum Düsseldorf Servicetechniker in einem Citroën-Autohaus. Jedem C1, der dort hereinkommt, geht er aus dem Weg, um Sichtkontakt und Erinnerung zu vermeiden. .

Sein Sohn war seit der Kindheit begeisterter Pfadfinder und dort bis zuletzt mit Leib und Seele engagiert. Er hatte in Düsseldorf ein BWL-Studium begonnen und nebenher im Düsseldorfer Ufa-Palast gearbeitet. Nachdem er sich dort wohl nicht nur dafür interessierte, wann Feierabend ist, wurde die Theaterleitung auf ihn aufmerksam und beförderte ihn zum Teamleter und bot ihm dann im Herbst 2018 die Position als Theaterleiter des Stuttgarter Hauses an.

Als er dies seinen Eltern eröffnete, waren diese dagegen, weil er dann so weit weg sein würde. Wegen der reizvollen Aufgabe entschied er sich trotzdem dafür und stellte sein Studium auf Fernstudium um. Seine Bedingung gegenüber dem Arbeitgeber, dass auch seine Freundin im Stuttgarter Ufa-Palast beschäftigt werden müsse, wurde ihm erfüllt.

Auch ihn fragt die Vorsitzende, wie er mit der Situation umgehe. Er antwortet "eigentlich sehr schlecht". Seine Frau und er sind in psychologischer Behandlung. Er leidet unter Schlafstörungen und Alpträumen. Diese bestehen im immer wieder erneuten Durchleben der Unfallnacht, indem es mitten in der Nacht an der Tür klingelt, er diese öffnet und die Polizei davorsteht.

Glücklicherweise gibt es einen Enkel, den er und seine Frau öfter als früher von seinen Eltern zu sich "abziehen" und der sie auf andere Gedanken bringt.

Abschließend übergibt er der Vorsitzenden einen an seinen Sohn gerichteten Abschiedsbrief der Pfadfinder und sagt, er würde sich freuen, wenn sie ihn verlesen würde. Sie nimmt ihn entgegen und liest ihn zunächst still für sich durch. Die dafür benötigte Zeit macht klar, dass es sich nicht um einen Dreizeiler handelt. Anschließend liest sie ihn vor. Die Pfadfinder bringen darin in einem ebenso schnörkellosen wie liebevollen Ton ihre Wertschätzung für seine positive und auch in schwierigen Situationen immer noch aufmunternde und motivierende Wesensart, sowie seinen Humor zum Ausdruck, dem sich keiner habe entziehen können.. Viele hätten ihn, obwohl nicht verwandt, fast wie einen Familienangehörigen wahrgenommen. Aus dem Kreis der Pfadfinder waren rund 500 zur Beerdigung gekommen.

Nach der Verlesung bittet die Vorsitzende um Verständnis, dass sie kurz zum Taschentuch greifen müsse, und wendet sich für einen kurzen Moment nach hinten. Beim Angeklagten fließen Tränen.

Weiter geht es mit dem aus der Normandie angereisten mit der Auswertung des Airbag-Steuergerätes befasst gewesenen Software-Ingenieurs des Herstellers Veoneer. Er spricht Französisch und wird gedolmetscht. Von ihm kamen eigentlich, das sehe ich jetzt erst in meinen Notizen, die Aussagen über die Hintergründe der Datenspeicherung und die Datenerhebungs- und Speichermimik, die ich jetzt weiter vorne quasi dem Polizisten "untergeschoben" habe… Aber ich lass das jetzt so stehen, ist ja egal…

Bei ihm wurde hinsichtlich der erhobenen Daten alles noch eine Stufe detaillierter. Er offenbarte bspw. dass das Gerät zwei "Events" kurz hintereinander registriert hat. Davon war der Aufprall auf den Citroën das zweite. Das erste war das kurz vorher erfolgte Auffahren auf den ca. 15 cm hohen Bordstein. Die vorhin für die Sekunde 0 genannten 114,41 km/h sind demzufolge nicht, wie bis hierher gedacht, die Kollisionsgeschwindigkeit, sondern die Auffahrgeschwindigkeit auf den Bordstein. Die eigentlich relevante Aufprallgeschwindigkeit ist deshalb nicht dokumentiert. Errechnet hat er ca. 105 km/h bis minimal theoretisch 95 km/h, wenn der Jaguar-Tacho die gesetzlich zulässige Voreilung vollständig ausschöpfen würde. Aufgrund der anzunehmenden Voreilung von aber nur ca. 5 km/h ergeben sich die ca. 105. Die Vorsitzende versucht die Diskussion mit dem Hinweis zu beenden, diese Ungenauigkeiten seien ja für die Schadenhöhe unerheblich. Trotzdem arbeitet sich die Verteidigung noch eine ganze Weile an diesen ab, um doch noch etwas niedrigere Geschwindigkeiten ins Spiel zu bringen. Unter anderem über die Reifengröße, wo verschiedene zulässig sind, was ja aber eigentlich am Abrollumfang nichts verändern darf. Der Kfz-Sachverständige bekommt die "Hausaufgabe", alle diesbezüglichen Eventualitäten ggf. noch in sein Gutachten aufzunehmen.

Des weiteren arbeitet sich die Verteidigung über längere Zeit an der Datenübertragungsrate ivom Tachosensor an der Vorderachse zum Airbag-Steuergerät in Verbindung mit dem Aufzeichnungsintervall von 0,5 Sekunden
und eventuelle daraus resultierende Ungenauigkeiten ab. Der Sachverständige schätzt die Übertragungsrate auf 20 bis 30 Millisekunden, Einen ernsthaften Ansatzpunkt, die Geschwindigkeitsdaten in Zweifel zu ziehen, findet die Verteidigung nicht.

Erwähnt wurde noch, dass die Gurtstraffer nach 16, die Front-Airbags nach 150 und 370 Millisekunden ausgelöst haben.

Die ganze technische Detaildiskussion (die ich hier natürlich in ihrer Tiefe nur ansatzweise wiedergeben kann) in der Zweisprachigkeit Deutsch/Französisch zog sich endlos hin und forderte der Dolmetscherin Höchstleistungen ab. Mit etwas gutem Willen konnte man am Ende leichte Rauchschwaden über ihrem Kopf aufsteigen sehen…

Zu guter Letzt wurde ein Polizist als Zeuge gehört, der die Social Media Recherche nach Videos von den Jaguar-Fahrten durchgeführt hat. Hier wurde nur ein einziges auf einem Profil eines Mannes aus dem Umfeld des Angeklagten gefunden, das auch auf seinem Handy gefunden worden war.
 
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