Prozessbericht Tag 16
Urteilsverkündung
Wie inzwischen bekannt, folgte die Kammer meiner gestern ausgesprochenen Empfehlung
- Anwendung von Jugendstrafrecht
- Erkennen auf Verbotenes Kraftfahrzeugrennen
- 6 Jahre Freiheitsstrafe
mit einer Abweichung von nur einem Jahr im Strafmaß weitgehend ;-)
Für mich ein gerechtes und zufriedenstellendes Urteil.
Der eigentlichen Urteilsbegründung stellte die Vorsitzende Richterin die Vorbemerkung voran, dass die neuerliche Entwicklung der Rechtsprechung, in ähnlichen Fällen Mordurteile zu sprechen, oder Begriffe wie "Rechtsfortbildung" (meint: die Entwicklungstendenz, in solchen Fällen statt wie bisher grundsätzlich auf Fahrlässige Tötung, öfter auch auf Mord zu erkennen) für die Kammer keine Rolle gespielt hätten. Stattdessen hätte diese "einfach so gut wie möglich den Tatbestand aufgeklärt und geschaut, was haben wir an Erkenntnissen und wie müssen wir die bewerten, so wie wir es immer tun. Nicht mehr und nicht weniger."
In der dann folgenden 75-minütigen Urteilsbegründung hat sie das gesamte Tatgeschehen, einschließlich der Vortatphase (vorausgegangene Raserei am Nachmittag und Abend) sowie relevanter persönlicher Aspekte des Angeklagten in einem großen Bogen zusammengefasst und dabei in, wie ich gestern noch die Erwartung geäußert hatte, vorbildlicher und ausgewogener Art und Weise be- und entlastende Punkte einfließen lassen.
Sie begann mit dem Lebenslauf des Angeklagten. Er wurde als jüngster von vier Brüdern und Sohn eines Mitarbeiters der Deutschen Bahn und einer als Teilzeit-Reinigungskraft tätigen Mutter geboren und wuchs in besagtem Stuttgarter Nordbahnhofsviertel in geordneten familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen auf. Obwohl seine Intelligenz (wie gestern von mir vermutet) eher im unteren Bereich liegt, schaffte er durch Fleiß und zielstrebiges Lernen einen sehr guten Hauptschulabschluss. In der anschließenden Weiterbildung zur FH-Reife reichte es dann aber nicht mehr für gute Noten, weshalb diese abgebrochen und die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker aufgenommen wurde, wo er dank seinem ausgeprägten Interesse an technischen Dingen am richtigen Platz war und durchgängig gute Leistungen erzielte.
Er wohnte noch zuhause bei den Eltern, hat sich bisher nicht seinem Alter entsprechend mental aus dem engen Familienverbund gelöst und weist insbesondere zur Mutter eine "in ihrer Enge als besorgniserregend zu bezeichnende Bindung" auf. Er hatte nicht nur die Rolle des Nesthäkchens, sondern in Teilen die eines Babys inne. Er erfuhr eine "nicht altersgerechte Überversorgung durch die Mutter", so wurde er bspw. bis zuletzt allabendlich wie ein Kleinkind von ihr zu Bett gebracht. Festgestellt wurde eine "Reifeverzögerung", die zum typischen mentalen Entwicklungsstand eines 12- bis 16-Jährigen führt. Zuhause führte er ein harmonisches Leben und fügte sich ein, wollte gefallen und war eigentlich derjenige, der sich an Regeln hielt. "Seinen Kumpels wollte er aber gefallen und imponieren mit Protzen und Angeben mit einem hochwertigen Sportwagen und einer Vielzahl von grenzwertigen Fahrsituationen - ein Verhalten, das an Sinnlosigkeit kaum zu überbieten ist."
Im Rahmen des Ablaufes des Tathergangs hat sie (ähnlich wie ich gestern) auf die Schwere seiner Schuld angesichts seines Verhaltens auf der Unfallfahrt hingewiesen. Ihm sei ohne Frage klar gewesen, dass er aufgrund der so extrem überhöhten Geschwindigkeit ("lassen Sie es mich mal umgangssprachlich sagen: durch diese - hirnlose - Raserei") die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bewusst herbeigeführt hat, deren Interessen ihm völlig egal gewesen seien.
Ihm müsse bewusst gewesen sein, dass er das Fahrzeug bei dieser Geschwindigkeit an dieser Stelle nicht kontrollieren konnte, auch wenn er sich (fälschlich) auf sein Fahrkönnen und die Sicherheitssysteme verlassen habe. Er habe nicht nur den Tod zweier junger Menschen verursacht, die voller Hoffnung und Pläne erst kurz zuvor aus NRW nach Stuttgart gezogen waren, sondern auch ihren Familien unendliches Leid zugefügt. Die Eltern seien wochen- bis monatelang krankgeschrieben gewesen und litten bis heute an psychischen und Schlafstörungen. Auch der Autovermieter habe mit der Belastung durch das Geschehen sein Geschäft (wie berichtet) nicht fortführen können und aufgegeben.
Nicht entscheidend für die Schwere der Schuld sei die im Plädoyer der Verteidigung vorgebrachte Tatsache, dass der Angeklagte bereits 0,3 Sekunden vor Erblicken des entgegenkommenden Linksabbiegers gebremst hat. Entscheidend für seine Schuld sei stattdessen, dass er vorher, und zwar unter Einsatz von Vollgas, die bekannte Geschwindigkeit erreicht hatte. (Auch hier folgte die Vorsitzende meiner Bewertung von gestern.) ;-)
Zu Gunsten des Angeklagten wurde berücksichtigt, dass er vorher nicht einmal mit kleinsten Verkehrsdelikten auffällig (und auch sonst nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen) war, unter dem Tatgeschehen und den Todesfolgen nachvollziehbar leidet, Reue zeigt und sich in diesem Sinne auch in seinem Letzten Wort sehr persönlich an die Hinterbliebenen gewandt hat.
Zur Frage des Straftatbestands:
"Einen Mörder sehen wir in Ihnen nicht …
Dafür, dass Sie nicht davon ausgingen, das Fahrzeug jederzeit sicher zu beherrschen (auch wenn dies in Wirklichkeit falsch war), haben wir keine Anhaltspunkte gefunden."
Auch der Straftatbestand der Fahrlässigen Tötung habe nicht getroffen, weil es mit der Herstellung der überhöhten Geschwindigkeit sehr wohl ein Vorsatz-Element in der Tathandlung gegeben habe. Der Tod der Opfer sei dann quasi nur ein nicht gewollter Nachfolgeeffekt zu der vorausgegangenen Vorsatzhandlung gewesen. Genau für diese in "Raserfällen" charakteristische Konstellation sei die neue Vorschrift "Verbotene Autorennen" geschaffen worden, die die "unerträgliche Lücke" zwischen Fahrlässiger Tötung mit einer Höchststrafe von 5 Jahren und Mord geschlossen habe und deshalb hier angewendet wurde.
Zur Strafzumessung:
Der Strafrahmen bei Verbotenem Autorennen mit Todesfolge liegt bei 1 - 10 Jahren. Auch wenn im Jugendstrafrecht der Aspekt der Abschreckung keine Rolle spielen dürfe, sei eine angemessene Sühne angesichts der Schwere der Schuld durchaus angezeigt. "Dass Sie bei einer so schweren Tat mit zweifacher Todesfolge mit einer Bewährungsstrafe [war Forderung der Verteidigung] davonkommen, das konnte ja wohl niemand ernsthaft glauben."
So kam die Kammer auf das Strafmaß von 5 Jahren Jugendstrafe und blieb damit nur knapp unter meiner Forderung von 6 Jahren ;-)
Wie gesagt finde ich das Urteil gerecht, und auch der Angeklagte kann m. E. "zufrieden" sein - auch wenn das bei einer mehrjährigen Haftstrafe sicher das falsche Wort ist. Auch bei seiner Familie (ich saß direkt daneben) war nach dem Urteilsspruch deutliche Erleichterung wahrzunehmen (Mordvorwurf vom Tisch), auch wenn diese beim Verlassen des Gerichts nach anderthalb Stunden später einer sichtbaren Betroffenheit gewichen war.