Crash mit geliehenem Jaguar in Stuttgart

Hattest Du das Gefühl, dass die Regung echt war?

Der Vorgeschmack von Konsequenz, das Leben in einer regulären Haftanstalt mit entsprechend anderen Knackis, dürfte für genug Tränen in eigener Sache reichen.

Die Regung dürfte schon echt sein, allerdings eher bezogen auf die eigene Person.
 
Hattest Du das Gefühl, dass die Regung echt war?
Auf jeden Fall. (Ich denke, Tränenfluss kann man, anders als Mimik oder Tonfall, auch nicht bewusst steuern. Allenfalls - vielleicht - als Schauspieler.)

Er wirkt eigentlich immer bedrückt bis traurig. Während der gesamten Aussagen der Eltern machte er mit deutlich tiefer als sonst gesenktem Kopf einen durchaus beschämten Eindruck.
 
Was mich besonders beeindruckt hat, ist, mit welcher Daten- und Informationsdichte das Fahrverhalten des Jaguar nachgewiesen werden kann. (Teilweise wurden auch Auswertungen "übereinandergelegt", wobei deutlich wurde, wie alles zusammenpasst.) Auch der einwandfreie technische Zustand des Wagens, die stabile, also gezielt so durchgeführte Anfahrt (minimale Rollbewegung) und natürlich das Vollgasgeben bei schon wahnsinniger Ausgangsgeschwindigkeit und der erfolglose Ausweichversuch vor dem Citroën zwingen den Angeklagten regelrecht zum Bekenntnis zum Geschehen und nehmen auch den Verteidigern, wie zu sehen war, jeden "Bewegungsspielraum".

Dass das technische Niveau des Objekts seiner Begierde sich für ihn einmal in dieser Weise auswirken würde, dürfte der Angeklagte wohl am allerwenigsten vorausgesehen haben...
 
Zuletzt bearbeitet:
Was ist so spannend daran, jedes Fitzelchen der Verhandlung hier im Forum zu dokumentieren und zur Schau zu stellen?
Ist das Sensationsgier?
Sorry, aber das hat was von Gaffen am Unfallort mit Liveübertragung bei der jede Regung aller Beteiligten kommentiert wird.
 
Das hat @Maritim ja bereits hier erläutert:


Ich weiß 🙂
Ich habe die langen Berichte der Vorwoche auch nicht gelesen.
Ich habe lediglich auf eine Rückfrage zur Wahrhaftigkeit von Tränenfluss, die letzte Berichterstattung gelesen und war erstaunt, wie es einem Zuschauer ohne Aufnahmegerät und Notizblock möglich ist, den gesamten Ablauf so präzise, detailgenau im Gedächtnis zu speichern.

Da aber jede Regung von Person xy beschrieben wird, empfinde ich das eben als Gaffen ala Nightcrawler.
 
Ich finde es sehr aufschlussreich und informativ wie ausführlich und sachlich @Maritim hier das Ganze wiedergibt.
Und das ganz ohne Sensationsgier oder ähnliches. (ich denke die bekommt man anderswo besser gestillt)
Bei der stelle mit der Verlesung des Briefes der Pfadfinder war ich sehr gerührt.
Danke für diese Einblicke und ich bewundere dein Gedächtnis @Maritim .
Ich hätte wohl nicht mal die Hälfte behalten.
 
OK, es mag daran liegen, dass ich den Post nicht als Bericht erkennen kann.

Ich würde mich als Nichtbetroffener eher für die juristische Seite interessieren.
Was wird seitens der StA vorgeworfen, was ist der Verteidigung juristisch überhaupt möglich, den Vorwurf zu erschüttern/anzugreifen.
Dazu würde ich allerdings Grundkenntnisse in der StPO oder des StGB usw. usw. benötigen.
 
Prozessbericht Tag 11


Ausnahmsweise ist die Verhandlung nur für den Vormittag angesetzt.

Diverse Polizisten berichten von ihren unterschiedlichsten Tätigkeiten am Unfallort über die gesamte Dauer des Großeinsatzes, der vom Auflaufen des ersten Notrufs gegen 23:40 bis zur Wiederfreigabe der Straße für den Verkehr gegen 04:30 andauerte, sowie vom Transport des Unfallfahrers in das Zentrum für seelische Gesundheit eines nahegelegenen Krankenhauses aufgrund der von ihm am Unfallort geäußerten Suizidgedanken, die er dann auf der Fahrt wiederholte.

In diesem Zusammenhang wird noch einmal der für die Justiz ärgerliche Umstand thematisiert, dass dem Unfallfahrer sein Handy nicht sofort noch am Unfallort abgenommen wurde, so dass er noch bis zum nächsten Morgen seine Kumpels zum Löschen belastender Videos auffordern konnte. Bevor er in den Streifenwagen einstieg, der ihn in die Klinik brachte, habe ein Polizist ihn durchsucht, wie dies grundsätzlich vor Mitfahrten in Polizeifahrzeugen üblich ist. Dabei habe er kein Handy gefunden. Ein anderer Polizist hat ihm das Handy am nächsten Morgen im Rahmen der Überführung von der Kklinik in die Untersuchungshaft abgenommen. Dieser Widerspruch bleibt ungeklärt.

Ein Polizist, der viele Vernehmungen von Zeugen aus dem Cliquen-Umfeld des Angeklagten durchgeführt hat, gibt zusammenfassende Eindrücke wieder. Er habe den Eindruck, sämtliche Kumpels hätten sich zu einer Art Schutzkollektiv verabredet und nur positive Aussagen über ihn getätigt. Insbesondere als Autofahrer, sowohl am Unfalltag als auch bei früheren Gelegenheiten, habe er sich immer regelkonform verhalten. Wurden sie dann mit anderslautenden Text- und Bilddokumenten von den diversen sichergestellten Geräten konfrontiert, wurden die Aussagen dementsprechend angepasst, allerdings immer nur genau so weit, wie es aufgrund der vorgelegten Belege unumgänglich war.

Für den übernächsten Verhandlungstermin ist eine Einlassung des Angeklagten zur Sache angekündigt. Die Vorsitzende Richterin äußert im Hinblick darauf eine Art "Wunschzettel", welches dabei wichtige Inhalte wären, über die etwas zu hören sie nicht unbedingt verärgern würde …

Und zwar

- inwieweit er sich vor der Fahrzeuganmietung auch über Sicherheitseinrichtungen des Autos informiert hat

-ob Sicherheitseinrichtungen auch Gegenstand seiner Ausbildung als Kfz-Mechatroniker bei der Daimler AG sind

- was er mit der Anmietung vorhatte

- inwieweit er in der Unfallnacht seine Kumpels zum Löschen von Auto-Videos aufgefordert hat

Sie fügt hinzu, dass sie es außerordentlich begrüßen würde, aus seinem eigenen Mund hierzu etwas zu vernehmen - eine Disziplin, in der er sich im bisherigen Verhandlungsverlauf nicht gerade übertrieben in den Vordergrund gedrängt hat.
 
Ich finde es sehr aufschlussreich und informativ wie ausführlich und sachlich @Maritim hier das Ganze wiedergibt.
Es sind solche Aussagen:
eine Disziplin, in der er sich im bisherigen Verhandlungsverlauf nicht gerade übertrieben in den Vordergrund gedrängt hat.
,
die den Berichten die Sachlichkeit und Objektivität leider etwas nehmen.
Im Extremfall wollte der Angeklagte umfassend aussagen, sein Anwalt hat ihm aber geraten, zu schweigen. Was ihm die Richterin nota bene nicht negativ auslegen wird/darf.
 
Es sind solche Aussagen...
die den Berichten die Sachlichkeit und Objektivität leider etwas nehmen.
Im Punkt Objektivität würde ich widersprechen, denn inhaltlich beschreibe ich durchaus objektiv die Tatsache, dass der Angeklagte bisher kaum etwas gesagt hat.

Im Punkt Sachlichkeit hast du natürlich Recht damit, dass vereinzelt meine Formulierungen nicht sachlich sind. Natürlich kann man an solche Beiträge hier unterschiedliche Ansprüche stellen. Ich habe bewusst den Schreibstil der Schilderung, nicht den des Berichts gewählt, weil ich den hier aus den folgenden Gründen passender finde.

Wir sind hier ja in einem Autoforum und nicht etwa in einem juristischen Fachblatt. Zum Wesen eines Autoforums gehört es - das erleben wir ja täglich in vielen Threads -, dass auch subjektiv-persönliche Eindrücke keine unbedeutende Rolle spielen. Was insbesondere angesichts von so "irrationalen" Objekten wie Sportwagen, die Grundthema dieses Forums sind, auch nur zu nahe liegt.

Darüber hinaus war es meine Absicht, meine persönlichen Eindrücke - die ja auch einen zusätzlichen Informationsgehalt darstellen (auch wenn sich dafür legitimerweise nicht jeder interessieren muss) - mit einfließen zu lassen, weil auch sie für mich einfach ein Bestandteil dieses meines "Projekts" sind.

Ich denke insoweit schon, dass mit diesem Format die meisten leben können. Das Echo der User (danke für die vielen Likes), auch via PN, scheint diese Hoffnung zumindest nicht zwingend zu widerlegen.
 
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Prozessbericht Tag 12

Es ist der 26. Geburtstag des Citroën-Fahrers. Vor Beginn der Verhandlung umarmen sich alle vier Elternteile gegenseitig.

Erster Zeuge ist der Betreiber der Sportbar, auf dessen Terrasse der Jaguar zum Stehen kam. Die Gäste des vollbesetzten Lokals sahen ein Champions Leage Spiel, als plötzlich ein lauter Knall zu hören war. Vorsitzende: "Wie laut war das Geräusch?" Zeuge: "Unvorstellbar. Es war abnormal laut." Als nach dem ersten Schreckmoment klar war, was passiert war, verschloss er die Eingangstür, um zu verhindern, dass Gäste nach draußen gehen würden, weil er befürchtete, es könnte vielleicht etwas explodieren. Als unmittelbar darauf das Fußballspiel zu Ende war, verwies er die Gäste auf den Hinterausgang. Es sei sicher davon auszugehen, dass 20 bis 30 Personen vor dem Lokal gestanden hätten, wenn der Jaguar ein bis zwei Minuten später dort aufgeschlagen wäre.

Nächster Zeuge ist ein 16-jähriger aus dem Cliquen-Umfeld des Angeklagten. Er war am Nachmittag in der Shisha-Bar gewesen, als der Jaguar davor stand und dem interessierten Publikum vorgezeigt wurde. Er ging auch hinaus und erlebte den Soundcheck mit. An einer Mitfahrt hatte er aber kein Interesse, weil er "nur Fan von Mercedes- und AMG-Sportwagen" ist. Nach dem Soundcheck ist der Jaguar mit einem Passagier losgefahren. Die Vorsitzende Richterin fragt, wie er losgefahren sei: "... also normal… zügig… mit ein bisschen Gas… mit viel Gas… mit quietschenden Reifen?" Die Antwort kann man sich denken. Die Vorsitzende fragt, worauf sich die auf seinem Handy sichergestellte Nachricht "Keiner sollte so fahren wie er" bezieht. Darauf kommen wie zu erwarten nur Ausflüchte, über die Art der Abfahrt vor dem Lokal aber weiter keine weitere Auskunft.

Der Zeuge wirkte während der gesamten Vernehmung unsicher und aufgeregt und entschuldigte sich mehrfach, wenn er sich im Satz verhaspelte unter Verweis darauf, dass er das erste Mal vor Gericht stehe. Einmal fragte die Vorsitzende, wovor er Angst habe. Er sagte, er wisse es nicht, aber wenn man vor Gericht stehe, könne man ja schließlich "Schwierigkeiten bekommen". Offensichtlich war ihm seine Rolle als Zeuge überhaupt nicht klar und er befürchtete, es könnten jeden Moment Häscher in den Saal stürmen, ihn gefangennehmen und in den Kerker werfen …

Nächster Zeuge ist ein 45-jähriger Sicherheitsmitarbeiter des Ufa-Palastes, der beide Unfallopfer als Kollegen kannte. Mit beiden habe er sich sehr gut verstanden. Mit der Frau sei es bei ihrer Arbeitsaufnahme im Oktober 2018 "fast so etwas wie Liebe auf den ersten Blick - unter Arbeitskollegen natürlich" gewesen. Mit ihr habe er das Interesse an Reisen und fernen Ländern geteilt, worüber man sich endlos habe unterhalten können. An ihrem Partner habe er seinen unermüdlichen, manchmal bissigen Humor geschätzt. Er war wie er selbst Fußballfan, so dass man sich darüber gut unterhalten und auch streiten konnte. Insbesondere wenn man etwas Kritisches über Fortuna Düsseldorf gesagt habe, sei man gut beraten gewesen, alsbald das Weite zu suchen…

Am Abend des Unfalls hatte er gegen 23:30, nachdem die letzten Kinobesucher gegangen waren, zusammen mit der Kollegin die Alarmanlage des Gebäudekomplexes scharfgeschaltet. {Es ist vorgeschrieben, dass die Eingabe eines Zahlencodes nach dem 4-Augen-Prinzip immer von 2 Personen zusammen vorgenommen wird.) Danach begleitete er sie zum hinter dem Gebäude geparkten Auto, wo ihr Freund bereits wartete, um sich auch von ihm noch zu verabschieden, und wünschte ihnen einen guten Nachhauseweg. Er lief neben dem Gebäude (über die später vom Citroën befahrene Ausfahrt) zur Straße vor, bog auf den Gehweg ein und blickte beim Passieren des Sportcafés kurz durch die Fenster auf den noch laufenden Fernseher. Da das Spiel aber wenige Sekunden vor dem Ende war und das Ergebnis feststand, ging er gleich wieder weiter, holte sein Handy aus der Tasche und rief seine Lebensgefährtin an. Als sie sich meldete, hörte er hinter sich "ein Geräusch wie von driftenden Auroreifen und danach ein paar unglaublich laute, krachende Schläge."

Vorsitzende: "Von was für Auroreifen?"
Zeuge: "Von driftenden Reifen."
Vorsitzende: "Was meinen Sie damit?"
Zeuge: "Naja, wenn ein Auto zum Beispiel über die Vorderachse schiebt, weil man die Lenkung zu stark einschlägt, das hört sich ja anders an als beim Bremsen oder beim Beschleunigen."
Vorsitzende (blickt überrascht zu Beisitzern und Schöffen): "Also das wusst' ich jetzt auch noch nicht, dass man da einen Unterschied hört… Also gut…"

Als der Zeuge hinter sich die Schläge hörte, drehte er sich um.

"Die Szenerie war surreal. Wo ich ein paar Sekunden vorher noch über einen sauberen Gehweg mit Sitzmöbeln gelaufen war, war ein Trümmerfeld. Alles war voll mit Autoteilen, die Luft dampfte, und es roch nach verbranntem Gummi, Benzin und Öl. Ich bin dann erstmal zu dem Jaguar, der stand ja als nächster zu mir. Den anderen Wagen habe ich gar nicht wahrgenommen, ich hatte irgendwie einen Tunnelblick. Außerdem waren die beiden in meinem Kopf ja schon abgefahren. Die Typen aus dem Jaguar stiegen dann gerade aus, ich habe sie gefragt, ob sie verletzt sind, aber sie waren, wie es aussah, OK. Dann habe ich erst den Citroën gesehen. Danach haben mich die beiden überhaupt nicht mehr interessiert und ich bin sofort dahin. Die Frau lag irgendwie komisch hinten links und über dem Fahrersitz, der Mann war darunter vergraben. Ich dachte, sie hätte einen Schock oder so, habe an ihr gerüttelt und ein paar Mal gerufen "Jacqueline, wach doch auf!" Dann kam ein Polizist und hat mich weggezogen. Ich schrie die Typen aus dem Jaguar an: "Was habt ihr getan… Ihr habt sie umgebracht!" Ich bin dann ein Stück weggegangen und habe gewartet. Es kamen dann immer mehr Polizeiautos und Sanitätswagen. Als ich dann den Mercedes Vito Leichenwagen gesehen habe, wusste ich, dass mindestens einer von den beiden es nicht überlebt hat. Ich suchte mir einen Polizisten und fragte ihn, wer von den beiden tot ist. Er hat mir gesagt, dass beide es nicht überlebt haben. Ich bin dann nochmal zurück ins Kino, weil ich es der Geschäftsführerin sagen wollte, die war noch da, als ich gegangen bin. Sie kam mir im Foyer entgegen und wollte auch gerade gehen. Ich habe es ihr dann gesagt, daraufhin ist sie ohnmächtig geworden."

Dieser Zeuge war damit der Letzte, der die beiden Opfer lebend gesehen hat. Während seiner Ausführungen weinten alle vier Elternteile.

Danach gab es eine Pause. Das war ein Wunsch der Eltern gewesen, damit sie noch mit dem Mann sprechen konnten.

Nächste Zeugin war eine junge Kaufmännische Angestellte, die am früheren Abend auf Heimweg von ihrem Sportstudio in der Straße des Unfalls (vermutlich) den Jaguar mit stark überhöhter Geschwindigkeit hat fahren sehen.

Ein Fotograf hat ihn am Nachmittag im Stadtzentrum mit ziemlicher Sicherheit erkannt. Er hat ihn über ein paar hundert Meter "verfolgt", da er wegen zähfließenden Verkehrs praktisch gleich "schnell" vorankam wie der Zeuge als Fußgänger. Der Fahrer sei jung und südländischen Aussehens gewesen und hätte auffallend lässig im Wagen gehangen "mit dem typischen Posergehabe, mit dem da ständig Leute ihren Zwang zur Selbstdarstellung ausleben müssen. Der hat dann, wenn er halten musste, den Motor ständig dermaßen in den Begrenzter gejagt, dass es mir spätestens da klar war, dass es ein Mietwagen sein musste, weil so niemand seinen eigenen Wagen behandelt." Am Ende der gemeinsam zurückgelegten Strecke kam er dann gar nicht mehr weiter und habe dort minutenlang immer wieder im Leerlauf Vollgas gegeben und "einen Geräuschterror veranstaltet, dass die Fußgänger auf beiden Straßenseiten sich reihenweise an den Kopf gefasst haben". (Das war an der Stelle, wo ein anderer Zeuge dasselbe beschrieben hatte, der mit seinem Wagen den Jaguar etwas länger "blockiert" hatte, weil seine nach einer Fuß-OP bewegungseingeschränkte Frau sowie weitere ältere Mitfahrer etwas länger zum Einsteigen brauchten.)

Ein pensionierter Polizist beobachtete den Wagen nahe dem Unfallort mit stark überhöhter Geschwindigkeit.

Eine 50-jährige Ernährungsberaterin war ebenfalls im Stadtzentrum als Beifahrerin in einem Range Rover unterwegs und konnte einen passenden Jaguar beobachten, der durch extremes Kolonnensoringen auffiel. (Selbiges war an derselben Stelle schon von anderen Zeugen berichtet worden.) Aus ihrer erhöhten Sitzposition konnte sie seine Manöver auch noch beobachten, als er sich schon etwas entfernt hatte, und gewann dabei den Eindruck, dass mehrfach Fahrzeuge Gas wegnahmen und sich zurückfallen ließen, "um Abstand von diesem wie verrückt fahrenden Sportwagen zu gewinnen". Im weiteren Verlauf passierte er eine durch die Stuttgart-21-Baustelle bedingte Fahrbahnverschwenkung so schnell, dass er er alle drei Fahrspuren in Anspruch nehmen musste. Dabei sei auch das Heck ausgebrochen. (Auch hierzu gab es bereits andere Zeugenaussagen.) Sie und ihr Lebensgefährte überlegten, die Polizei zu verständigen, unterließen es aber, nachdem der Jaguar aus dem Blickfeld verschwunden war.

Ein Entwicklungs-Ingenieur der Daimler AG, der an derselben Straße wohnt, wo auch der pensionierte Polizist (und vorher schon viele Andere) den Jaguar mit überhöhter Geschwindigkeit erlebt haben, sah ihn von seinem Balkon aus stark beschleunigend fahren. Aufgrund des Klangbildes ging er von Vollgasbeschleunigung aus. Die erreichte Geschwindigkeit schätzt er auf "mit Sicherheit nicht unter 80" (erlaubt 30). Als er sich einem an einer roten Ampel stehenden Wagen näherte, musste er eine Vollbremsung mit ABS-Eingriff (Aktivierung der Warnblinkanlage) durchführen. Eine Kollision wurde nach Einschätzung des Zeugen nur dadurch vermieden, dass der wartende Wagen im letzten Moment Grün bekam und anfuhr.

Der Ingenieur setzte sich darauf "spaßeshalber" hin und informierte sich über die Beschleunigungswerte des F-Type R und ermittelte mit Google Maps die Entfernung zwischen dem Punkt, ab dem dort frühestens beschleunigt werden kann, und besagter Ampel, wo der Fahrer erst (zu) kurz vorher die Bremsung begonnen hat. Bei anhaltender Vollgasbeschleunigung (bspw. wenn die Ampel nicht rot gewesen und niemand dort gestanden hätte) errechnete der Ingenieur für das Passieren der Ampel eine Geschwindigkeit von 146 km/h.

Schließlich erscheinen als Zeugen der Inhaber des Handwerksbetriebs, auf den am Unfalltag das einzige weiße F-Type Coupé mit gleichem Ortskennzeichen wie das Unfallfahrzezg zugelassen war, sowie seine Ehefrau,

Bei der Diskussion der Polizeirecherche nach ähnlichen im Stuttgarter Raum zugelassenen Fahrzeugen (um die mögliche Verwechslungsgefahr mit anderen Exemplaren bei den diversen Zeugenbeobachtungen zu quantifizieren) hatte die Verteidigung sich "not amused" darüber gezeigt, dass man hinsichtlich dieses gleich aussehenden Jaguar mit gleichem Ortskennzeichen überhaupt nicht weiter recherchiert hatte. Um einem entsprechenden Beweisantrag zuvorzukommen, wurde das Ehepaar als Zeugen geladen.

Den unscheinbaren Leuten um die 60, bieder und bodenständig, in Strickjacken, hätte ich alles Andere eher zugetraut als einen F-Type. Getippt hätte ich wohl auf einen Golf Sports Tourer (so heißt glaub ich diese seniorenfreundliche Hochdachversion).

Die Frau ist als kaufmännische Angestellte im Elektrofachbetrieb ihres Mannes beschäftigt und nutzte den sechszylindrigen F-Type praktisch ausschließlich, der inzwischen nach Leasing-Ende durch ein vierzylindriges Exemplar ersetzt wurde. Ihr Mann fährt einen Ford Ranger Pickup und den Jaguar nur ausnahmsweise auf Fernstrecken. Am Unfalltag fuhr die Frau ihn wie immer an Werktagen morgens von zuhause zum 3 km entfernten Firmengrundstück, zur Mittagspause nach Hause und wieder in die Firma und abends wieder zurück nach Hause. (Der F-Type für den Nahverkehr - wenn's stilvoll und gepflegt sein soll..) ;-) In Stuttgart war er also nicht. Auch der Mann war an dem Tag ausschließlich mit seinem eigenen Wagen zu mehreren Kundenbesuchen unterwegs.

OT: Als ich das Gerichtsgebäude verlassen hatte, lief ich an dem geparkten F-Type des Ehepaars vorbei (das Kennzeichen stimmte mit dem in der Vernehmung genannten überein). Hochglanzpoliert, in so einem Understatement-Schlamm-Grau-Braun-Metallic, einer der dezenten Farben, die manche Menschen mit Geschmack aussuchen, die die Auffälligkeit eines außergewöhnlichen Wagens über die Farbe wieder etwas zurücknehmen wollen, was ich persönlich ganz stilvoll finde. Überhaupt sieht dieses Coupé geradezu unverschämt gut aus, finde ich - einer der schönsten Sportwagen, die derzeit auf dem Markt sind. - Kurz danach fuhren sie mit Tempo 30 an mir vorbei. OK… beim Klang des Vierzylinders darf's noch etwas mehr sein ;-)
 
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Prozessbericht Tag 13

Als Zeuge wird ein Mann vernommen, der am Nachmittag in seinem AMG GLC als Beifahrer unterwegs war, während der 20-jährige Sohn am Steuer saß. Während sie auf einer auf Tempo 50 limitierten Hauptverkehrsstraße mit 2 Spuren pro Richtung, die über ca. 2 km weitgehend ampelfrei ist, auf der rechten Spur fuhren, überholte der Jaguar und setzte sich demonstrativ vor sie, ging auf ihre Geschwindigkeit runter und gab nach ein paar Sekunden heftig Gas. Der Zeuge empfand das als Aufforderung zum Wettrennen, zumal der Jaguar, nachdem darauf nicht eingegangen wurde, alsbald stark bremste und so weit verlangsamte, dass er bald wieder vor ihnen war. Der Zeuge vernahm eine gewisse Unruhe bei seinem Sohn, die Einladung zum Rennen möglicherweise anzunehmen, und mahnte ihn, er solle sich unterstehen, das Gaspedal jetzt nicht ganz ruhig zu halten. Was der dann auch tat. Der Jaguar wiederholte indessen seinen Sprint und ließ sich wieder zurückfallen. Dies wiederholte sich mehrere Male, bis der Jaguar am Ende der ampelfreien Strecke die gemeinsame Route verließ.

Der einsatzleitende Polizist vom Unfallort gibt zusammenfassende Informationen, die im Wesentlichen schon in Aussagen anderer Polizisten zur Sprache gekommen sind. Der Polizeieinsatz vor Ort dauerte bis kurz nach 4 Uhr.

Dieser Polizist hat zusammen mit einem Kollegen als zentrale Ansprechinstanz der Polizei für die Eltern der Opfer fungiert. Die Anwälte der Eltern danken ihm namens ihrer Mandanten für die persönliche und an der besonderen Belastungssituation orientierte Kommunikation und Betreuung durch die Polizei, deren Umfang und Qualität jede Erwartung übertroffen habe.

Im vorletzten Termin hat die Vorsitzende einige Punkte genannt, zu denen sie gerne vom Angeklagten etwas hören würde. Einer seiner Anwälte verliest dazu eine Erklärung:

> Inwieweit hat er sich vor der Anmietung über Sicherheitseinrichtungen des Wagens informiert?
>> Informiert hat er sich über Fahrleistungen, elektronische Fahrhilfen und die Innenausstattung.

> Sind Sicherheitseinrichtungen Gegenstand seiner Ausbildung als Kfz-Mechatroniker?
>> Ja, Rückhaltesysteme und elektronische Fahrhilfen sind Themen, aber auch, dass selbst modernste Sicherheitseinrichtungen nicht in jedem Fall den Tod von Menschen verhindern können.

> Was hatte er mit der Anmietung vor?
>> Er wollte den Wagen genießen, schnell fahren und angeben.

> Inwieweit hat er über Handy zum Löschen von Auto-Bildern und -Videos aufgerufen?
>> Auf Anfragen hat er empfohlen, Auto-Videos zu löschen, und eigene aus Scham gelöscht.

Die Antworten hatten den hier von mir wiedergegebenen Umfang, das heißt, es war tatsächlich gerade mal ein Satz pro Frage.

Dem von der Vorsitzenden geäußerten Wunsch, Äußerungen vom Angeklagten persönlich zu hören, wurde somit nicht entsprochen. Sie stellt ferner fest, dass die Verteidigung angekündigt hat, dass Rückfragen zu diesen Aussagen nicht beantwortet werden.

Diesen Auftritt der Verteidigung fand ich schon etwas schwach. Denn persönliche Aussagen bzw. ggf. Antworten auf Rückfragen haben natürlich eine andere Qualität als anwaltsseitig durchformulierte Sätze, und damit kann ein Angeklagter ggf. für ihn günstige Punkte durchaus nachdrücklicher vermitteln. Vermutlich haben hier aber die Anwälte befürchtet, dass ihr Mandant sich dabei um Kopf und Kragen reden würde, und deshalb das kleinere Übel gewählt.

Es folgt der Bericht der Sozialarbeiterin, die den Angeklagten in der JVA betreut.

Aufgrund des Hinweises auf Suizidgefährdung bei der Einlieferung ist er in einer Einzelzelle mit 24-Stunden-Videoüberwachung untergebracht. Die mit einer Gemeinschaftsunterbringung erzielbare Reduzierung der Suizidgefahr wird in diesem Fall als nicht ausreichend angesehen. In den ersten Wochen wirkte er zurückhaltend und unsicher. Er erkundigte sich bspw., ob und was unter den anderen Gefangenen über ihn geredet wird. Er zeigt deutlich jugendliche Züge, und es ist nicht zu übersehen, dass er noch nie auf eigenen Füßen gestanden und sein Leben selbst organisiert hat. Dies fängt schon beim Putzen an.

Seine Kontaktaufnahme zu anderen Gefangenen ist zurückhaltend. Wenn er Kontakt sucht, dann vorzugsweise zu Älteren, denen er Einfluss in der Community zuschreibt.

Im Sommer ist er dann langsam im Haftalltag angekommen. Die Langeweile hat eine große Bedeutung angenommen. Er nimmt an einer Kochgruppe teil. Ansonsten stellt er ständig Anträge, verlangt die Gestattung von Ausnahmen und Erfüllung von Sonderwünschen. Er erhält ständig Besuch von der Familie, Therapeuten und Unterstützungsdiensten und hält die Verwaltung beschäftigt wie kein zweiter Gefangener.

Mit dem Näherrücken der Hauptverhandlung wurde er zunehmend nervös, insbesondere im Hinblick auf Öffentlichkeit und Presseberichterstattung. Die Teilnahme seiner Familie an der Hauptverhandlung versuchte er zu unterbinden.

Soweit er die Urteilsverkündung in psychisch ausreichend stabiler Verfassung übersteht, ist eine Überführung in die Gemeinschaftsunterbringung wünschenswert, um eine bessere Integration in die Community zu erzielen.

Es folgt das Gutachten des Kfz-Sachverständigen.

Einleitend fragt die Vorsitzende nach einer grundlegenden Einordnung des Jaguar ("Was ist das überhaupt für ein Wagen?") Obwohl sie über nunmehr 12 Verhandlungstage, an denen der Sachverständige ausnahmslos anwesend war, ihre Ahnungslosigkeit in Bezug auf Autos dokumentiert hat, war dieser nicht in der Lage, dies zu beantworten. Es folgten ein paar Daten und nach zwei Sätzen war er im Klein-Klein. So etwas nicht mit ein paar grundlegenden Einordnungen beantworten zu können, die eine absolut Fachfremde auch versteht - wenn sie schon ausdrücklich danach fragt -, fand ich ziemlich ärmlich.

Es geht dann zunächst um den Zustandsbefund der Fahrzeuge.

Beim Jaguar war der Front-Querträger abgerissen, nach hinten verschoben waren beide Längsträger, der Motor und beide Vorderräder. Die Vorderachse war gebrochen. Durch die extreme Energieeinleitung waren auch die A-Säulen und Dachholme deformiert, was an einem Knick auf Höhe des Heckklappenanschlags (Sollbruchstelle) zu sehen ist. Auf diese Weise wird gewollt die gesamte Fahrzeuglänge bis hin zur C-Säule zum Abbau von Aufprallenergie in Anspruch genommen. Wäre der Jaguar nicht rechtwinklig, sondern schräg aufgeprallt, in eine Drehbewegung geraten und bspw. seitlich gegen einen Arkadenpfeiler geprallt, hätte für die Insassen ein ungleich höheres bis tödliches Verletzungsrisiko bestanden.

Für mich grenzt es - lange Schnauze des Jaguar hin oder her - trotz allem an ein Wunder, dass die Insassen den Aufprall mit mehr als 100 km/h unverletzt überstanden haben. Zudem hatte der Beifahrer wie berichtet ja auch noch ausgesagt, es sei gar nicht so schlimm gewesen, er hätte gedacht, sie hätten halt einen parkenden Wagen gerammt. Das ist für mich unvorstellbar.

In den Citroën ist der Jaguar bis zu 30 bis 40 % der Fahrzeugbreite eingedrungen. Bei diesem wurden nahezu alle Karosseriestrukturen massiv deformiert. Die Lehne des Beifahrersitzes wurde abgerissen. Auffällig ist, dass trotz des hohen Zerstörungsgrades Vorder- und Hinterrad auf der Aufprallseite in der Spur geblieben sind. Der Jaguar muss demzufolge exakt mittig zwischen den Achsen eingeschlagen sein.

Der Sachverständige zeigt eine Video-Simulation, die die Anfahrt zum Unfall aus der Perspektive des Jaguar-Fahrers auf der naturgetreu dargestellten Straße mit Umgebung (Bäume, Gehwege, Gebäude…) zeigt. Es beginnt 5 Sekunden vor dem Auffahren auf den Bordstein, wird alle 0,5 Verlaufssekunden angehalten und mit sämtlichen für den jeweiligen Zeitpunkt vom Airbag-Steuergerät bereitgestellten Messdaten, also

- Fahrgeschwindigkeit
- Gaspedalstellung:
- Lenkungsstellung:
- Rollbewegung:
- Gierrate
- Getriebestatus und -aktivität
- Motordrehzahl
- Longitudinalbeschleunigung (positive und negative Geschwindigkeitsveränderungen)
- Bremsaktivität
(und wahrscheinlich noch 2, 3 andere)

unterlegt und zueinander in Beziehung gesetzt, kommentiert und diskutiert. Wenn ich auch vorhin über den Sachverständigen gemeckert habe, dies hier war - auch im wörtlichen Sinne ;-) großes Kino. Die Informationsdichte, mit der die ganze Situation wiedergegeben wurde, war zum einen an sich beeindruckend, und ließ andererseits der Verteidigung keinen Millimeter Bewegungsspielraum.

Die Reifentyp-bedingten Abrollumfang-Differenzen gegenüber der serienmäßigen Bereifung, in der die Verteidigung eine mögliche Fehlerquelle bei der Geschwindigkeitsermittlung gesehen hatte, wurden gemäß Auftrag der Vorsitzenden erhoben und liegen weit innerhalb der zulässigen Toleranzen.

Die beim F-Type regelmäßig festgestellte Tachovoreilung beträgt bei den in Rede stehenden Geschwindigkeiten ca. 5 km/h. Die Vorsitzende stellt fest, dass dies für den Tathergang unerheblich ist.

Der Sachverständige hat anhand der langgezogenen Rechtskurve in der Anfahrt auch erhoben, von welcher Stelle der Jaguar-Fahrer den Linksabbieger, dem er auswich, erstmals sehen konnte. Diese ist 105 Meter von der Abbiegestelle entfernt. Selbst noch aus einer Geschwindigkeit von 140 - 145 km/h hätte der Jaguar mit einer Vollbremsung vor dem Linksabbieger halten können. (Mit den maximal erlaubten 50 km/h hätte der Anhalteweg 28 Meter betragen.)

Nachdem die 5 Sekunden Fahrt vorher über schätzungsweise eine halbe Stunde bis ins letzte Detail auseinandergenommen worden sind, wird auf Wunsch der Staatsanwältin das Video nochmals in 5 Sekunden am Stück abgespielt. Ohne Dateneinblendungen, nur die Sicht des Fahrers, in Originalgeschwindigkeit. Das so ermöglichte Nacherleben des Durchfahrens einer nur 9 Meter breiten, leicht gekrümmten, Stadtstraße bei Nacht mit annähernd 170 km/h (das ja kein normaler Autofahrer jemals erlebt) führte einem die ganze Idiotie der Fahrweise des Angeklagten nochmals mit unbeschreiblicher Nachdrücklichkeit - im Wortsinne - vor Augen.
 
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Prozessbericht Tag 14

An diesem Tag wird kurz nach Beginn des Verhandlungstermins die Öffentlichkeit ausgeschlossen, weil die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger-Anwälte auf der Tagesordnung stehen. Das Gerichtsverfasungsgesetz schreibt dies vor für den Fall, dass die Öffentlichkeit bereits vorher zeitweise ausgeschlossen war. Dies war während der Aussagen des Angeklagten zur Person, des psychologischen Gutachters und der Jugendgerichtshilfe geschehen. Hintergrund ist natürlich, dass Staatsanwaltschaft und Nebenklägeranwälte in ihren Plädoyers darauf referenzieren könnten und so nichtöffentliche Inhalte auf diesem Wege quasi durch die Hintertür doch noch öffentlich werden.

Nach der Sitzung informiert der Gerichtssprecher über die gestellten Strafanträge. Es haben beantragt:

die Staatsanwältin:
6 Jahre Freiheitsstrafe wegen Mordes nach Jugendstrafrecht

der Anwalt der Eltern des getöteten Mannes:
desgleichen

der Anwalt des Bruders:
8 Jahre desgleichen

die Anwältin der Eltern der getöteten Frau:
lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes nach Erwachsenenstrafrecht
 
Möchte mich hiermit mal bedanken für deine regelmäßigen sehr gut ausformulierten Berichte des Gerichtsgeschehens. Mitunter waren bei mir Tränen, Kopf schütteln und auch kalt den Rücken runter laufen dabei.
Mal abwarten was die Richterin festlegt.
 
Welche Entscheidung meinst du? Nach den bisherigen Erkenntnissen ist der Täter ja wiederholt und über Stunden hinweg durch die Stadt gerast. Er hat also nicht etwa "nur mal kurz" Gas gegeben. :unsure:

Diese...

Der Sachverständige hat anhand der langgezogenen Rechtskurve in der Anfahrt auch erhoben, von welcher Stelle der Jaguar-Fahrer den Linksabbieger, dem er auswich, erstmals sehen konnte. Diese ist 105 Meter von der Abbiegestelle entfernt. Selbst noch aus einer Geschwindigkeit von 140 - 145 km/h hätte der Jaguar mit einer Vollbremsung vor dem Linksabbieger halten können. (Mit den maximal erlaubten 50 km/h hätte der Anhalteweg 28 Meter betragen.)

Aber gut, zuvor immer davon gekommen, da hat er vermutet, dass es dieses Mal auch klappt...
 
Prozessbericht Tag 15

Auf der Tagesordnung stehen
das Plädoyer der Verteidigung und
das Letzte Wort des Angeklagten.

Aus demselben Grund wie am vorhergegangenen Verhandlungtag ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Obwohl dies natürlich auch für die Presse gilt, bringt die STUTTGARTER ZEITUNG eine ganz gute Zusammenfassung des Tages, die ich deshalb einfach verlinke.


Der Ansatz der Verteidigung, der Angeklagte habe (wie bekannt nach Vollgasbeschleunigung auf eine Geschwindigkeit von 168,69 km/h) bereits vor Erblicken des entgegenkommenden Linksabbiegers gebremst, reduziert seine Schuld m. E. nicht entscheidend.

Und hinsichtlich des Strafmaßes kann man sicher verschiedene Varianten ernsthaft begründen; die von den Verteidigern geforderte Bewährungsstrafe, i. e. sofortige Freilassung, halte ich für fernab jeder Angemessenheit - aber auch Wahrscheinlichkeit.
 
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Am Vorabend der Urteilsverkündung:
meine Meinung und Prognose zum Urteil


Nun ist die Hauptverhandlung beendet und das Letzte Wort des Angeklagten gesprochen im ersten "Raser-Prozess" in Baden-Württemberg, und die Vorsitzende Richterin dürfte die Urteilsbegründung fertig haben... Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, welches Urteil ich selbst sprechen bzw. für gerecht halten würde. Aber auch darüber, welches die Große Strafkammer, bestehend aus der Vorsitzenden, zwei Beisitzerinnen und zwei Schöffen, voraussichtlich tatsächlich fällen wird.

Es waren ja mehrere Entscheidungen zu treffen.

Einmal die Frage der Anwendung von Jugend- oder Erwachsenen-Strafrecht.

Dann die Frage nach dem Straftatbestand, also ob auf Fahrlässige Tötung, Verbotenes Kraftfahrzeugrennen oder Mord zu erkennen ist.

Und schließlich natürlich das Strafmaß.


M. E. ist hier ganz klar Jugendstrafrecht anzuwenden.

Zum einen begründet sich das aus der Tat selbst. Geld und Zeit (8 Stunden am Stück) dafür zu verwenden, mit einem auffälligen Wagen durch die Stadt zu rasen und dabei mit aufheulendem Motor etc. um Aufmerksamkeit nicht nur von Freunden, sondern auch von Fremden zu buhlen, offenbart für mich sogar eher ein kindliches als jugendliches Gemüt. (Daran ändert es nichts, dass auch Ältere, für die deshalb Jugendstrafrecht nicht mehr in Betracht kommt, sich mitunter gleich verhalten.)

Das Auftreten des Angeklagten im Gerichtssaal wirkt unsicher, verlegen und eingeschüchtert. Er machte auf mich manchmal den Eindruck "Warum so ein Riesen-Verfahren für mich kleinen Kerl…?"

Auch die Suizidgedanken nach dem Unfall sprechen m. E. für Unreife. Auch wenn das Bewusstsein, soeben zwei Menschen getötet zu haben, natürlich jeden Menschen in einen psychischen Ausnahmezustand versetzen kann, halte ich dennoch den sofortigen Gedanken an Suizid für einen Ausdruck jugendlicher Maßlosigkeit und Übertreibung.

Die betreuende JVA-Sozialarbeiterin hat sich - nach immerhin einem halben Jahr Beobachtung - sehr klar, auch anhand von belegenden Beispielen, über jugendliche Züge in seiner Persönlichkeit geäußert.

Das für die Entscheidung über die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenen-Strafrecht vorgeschriebene jugendpsychiatrische Gutachten wurde zwar wie berichtet unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgetragen. Dessen ungeachtet hatte der FOCUS bereits vorher Auszüge daraus veröffentlicht, die ebenfalls klar auf einen noch jugendlichen Entwicklungsstatus hindeuten:



Hinsichtlich des Straftatbestands (Mord, Verbotene Kraftfahrzeugrennen oder Fahrlässige Tötung) würde ich auf Verbotene Kraftfahrzeugrennen erkennen.

Für Mord müsste (wie seinerzeit beim Berliner Fall breit diskutiert) ein bedingter Vorsatz vorliegen, das heißt, der Tod müsste billigend in Kauf genommen werden. Der Täter muss also die innere Einstellung haben "Es könnte jemand sterben - und wenn schon" und nicht (wie bei Fahrlässiger Tötung) "Es könnte jemand sterben, aber es wird schon gut gehen". Den bedingten Vorsatz kann ich im vorliegenden Fall nicht erkennen. Eine billigende Inkaufnahme auch nur eines (gar nicht mal tödlichen) Unfalls schließe ich schon deshalb aus, weil der Fahrer damit ein erhebliches Risiko auch für sich selbst hätte akzeptieren müssen. Ebenso eine erhebliche Strafe (und sei es nur ein schmerzhaftes Bußgeld) bzw. ein längeres Fahrverbot sowie die Verweigerung weiterer Anmietungen durch den Autovermieter. Alles dies muss jemand, in dessen Kopf die Leidenschaft für schnelle Autos einerseits zentral, andererseits auch weitgehend einziges Interessengebiet ist, eher konsequent zu vermeiden suchen.

Stattdessen war er mit seiner - mit Blick auf das durch Dutzende Zeugen doch einigermaßen erhellte soziale Umfeld und Freizeitverhalten - vermutlich überschaubaren Intelligenz m. E. wirklich der Meinung, er hätte den Wagen im Griff. Ich sehe ihn insofern gewissermaßen auch als Opfer seiner eigenen Beschränktheit.

Die Annahme, es werde schon gut gehen, spräche also für Fahrlässige Tötung - wenn nicht ganz neu, vor gerade mal zwei Jahren, angesichts der sich häufenden schweren Raser-Unfälle eine speziell darauf ausgerichtete neue Vorschrift ins Srafgesetzbuch aufgenommen worden wäre:

§ 315d StGB - Einzelnorm

M. E. hat der Täter den Tatbestand gemäß Absatz 5 verwirklicht.

Das Strafmaß liegt demzufolge bei einer Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren. Bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht würde ich angesichts der Schwere der Tat und ihrer Folgen eine Strafe im Bereich des Höchstmaßes sehen. Im Jugendstrafrecht steht bei der Strafzumessung aber der Gedanke der Resozialisierung (wie ich meine, aus guten Gründen) ganz im Vordergrund. Dabei spielt u. a. die Sozialprognose des Täters eine Rolle, und dazu würde ich mal Folgendes sagen.

Der junge Mann hat mit dem Interesse an Autos immerhin etwas, das für ihn wichtig ist, ihn begeistert und vielleicht so etwas wie ein "Lebensthema" werden könnte. So etwas ist keineswegs selbstverständlich, gerade in diesem bildungsfernen Milieu. Insbesondere hatten bspw. mehrere als Zeugen vernommene Kumpels, die gerade arbeitsuchend oder auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind, auf Fragen der Vorsitzenden, in welchem Bereich sie als was arbeiten oder sich ausbilden lassen wollen, nicht die leiseste Vorstellung. Das ist beim Angeklagten anders. Er hat einen Ausbildungsplatz bei einem der gesuchtesten Arbeitgeber der Region, der Daimler AG. Deren Ausbildungsplätze liegen nicht auf der Straße herum, sondern die Nachfrage danach übersteigt das Angebot grundsätzlich um ein hohes Vielfaches. Dass er einen davon bekommen hat, lässt mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Können und/oder Engagement, jedenfalls auf eine gewisse Zielstrebigkeit schließen. Dies deckt sich mit der häufig und übereinstimmend aus seinem Umfeld gehörten Aussage, er sei strebsam und nehme seine Ausbildung ungewöhnlich ernst und an den Treffen seiner Clique nur am Wochenende teil. Es ist also zu erwarten, dass er sobald als möglich seine Ausbildung erfolgreich abschließt, vielleicht sogar ein FH-Studium anschließen, in jedem Fall aber seinen Lebensunterhalt bestreiten und einen gesellschaftlichen Beitrag leisten wird.

Für ihn spricht ferner, dass er weder vorbestraft noch mit Straßenverkehrsdelikten selbst kleinerer Art bislang jemals aktenkundig geworden ist.

Gegen ihn spricht natürlich die Schwere seiner Schuld.

Im Zuge der Beweisaufnahne wurde zum einen offenkundig, dass er nicht etwa einmal kurz aufs Gas gedrückt hat (was wohl Jedem schon mal passiert ist), sondern den gesamten Nachmittag und Abend verkehrswidrig herumgerast ist und diesen Fahrstil dermaßen zeitlich ausgedehnt praktiziert hat, dass es quasi eine Frage der Zeit war, bis etwas passieren würde.

Und dann natürlich das Unfallgeschehen selbst. Auch Rasen ist nicht gleich Rasen, und ich finde hier das Tatverhalten in besonders hohem Maße verwerflich: besonders hohe Geschwindigkeit, vorausgehende Vollgasbeschleunigung, eingeschränkte Sichtverhältnisse durch Nachtzeit, beidseitig durchgehend beparkte, schmale Straße mit durch gekrümmten Verlauf begrenzter Sichtweite, und das alles in Annäherung an einen innenstädtischen Bereich mit einem Großkino (7 Säle), Kneipen etc.

Vergleicht man bspw. mit dem Ku'damm-Fall, war dort zwar das Geschwindigkeitsniveau dasselbe, die in beiden Fahrtrichtungen mehrspurige Straße aber ungleich übersichtlicher und mit querenden Fußgängern oder aus parkenden Fahrzeugen Aussteigenden überhaupt nicht zu rechnen. Insofern würde ich die Schuld hier noch höher einstufen als im Berliner Fall.

Fasst man nun alles zusammen, würde ich in dem Strafrahmen des § 315d Abs. 5 von 1 - 10 Jahren vor dem Hintergrund Jugendstrafrecht die Spanne halbieren, so käme man auf 5,5 Jahre, die ich wegen der besonderen Verwerflichkeit der Tat auf 6 Jahre erhöhen würde.

Mein Petitum für das Urteil wäre also eine Jugend-Freiheitsstrafe von 6 Jahren wegen Verbotenem Kraftfahrzeugrennen.


Die andere Frage ist dann natürlich, wie die Kammer voraussichtlich tatsächlich urteilen wird. Natürlich kann man von einer erfahrenen Mitte 50-jährigen Vorsitzenden Richterin am Landgericht grundsätzlich eine entsprechende Professionalität erwarten. Ich habe aber auch den ganz persönlichen Eindruck, dass sie sehr ausgewogen alle be- und entlastenden Aspekte berücksichtigt und keinerlei, sei es auch subtil wahrnehmbare, persönliche Abneigung gegen den Angeklagten hegt. Ich gehe deshalb von einem wohlabgewogenen Urteil und einem weder besonders niedrig noch besonders hoch ausfallenden Strafmaß aus.

Meine Prognose - wenn ich eine abgeben müsste - wäre, dass die Kammer zu demselben Urteil kommt wie ich vorstehend. Sollte abweichend doch auf Mord erkannt werden (Höchststrafe aufgrund Jugendstrafrecht 10 Jahre), prognostiziere ich, dass das Strafmaß sich ebenfalls in der von mir befürworteten Höhe von 6 Jahren bewegen wird. Für den Fall einer Verurteilung wegen Fahrlässiger Tötung (Höchststrafe 5 Jahre) prognostiziere ich (wegen Jugendstrafrecht) 3 Jahre. Was vielleicht nach wenig klingt, aber auch schon eine unvorstellbar harte Strafe ist.


Morgen um 9* wird das Urteil verkündet. Ein Termin, dessen Herannahen nicht nur den Angeklagten, sondern mit Sicherheit auch seine Eltern und Brüder und natürlich die Eltern der Unfallopfer in diesen Stunden nochmal in höchste Anspannung versetzen dürfte.

Mit enormer Presse- und Publikumspräsenz ist zu rechnen. Ich habe mir vorgenommen, um 7 im Gericht zu sein ;-)

* verschoben auf 10 Uhr
 
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Ich sehe ihn insofern gewissermaßen auch als Opfer seiner eigenen Beschränktheit.
Das ist beim Angeklagten anders. Er hat einen Ausbildungsplatz bei einem der gesuchtesten Arbeitgeber der Region, der Daimler AG.
1. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Für ihn das Wort "Opfer" einzuführen ist äußerst unzutreffend. Er ist für sein tun und seine mangelnde Vorraussicht was passieren kann selbst verantwortlich, das belegt:
2. als Azubi in der Autobranche - also kein Dummie - wusste er genau was sein tun anrichten kann, was die physikalischen Grenzen sind.

Ein Urteil nahe dem Höchstmaß im Jugendstrafrecht von 10Jahren wäre m.M.n. angemessen, und zwar für Mord, er hat billigend aus egoistischen Beweggründen in Kauf genommen, das Menschen zu Tode kommen.
...und schade, das man die Strafe nicht analog der Opferzahl erhöhen kann :cautious:
 
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Ich habe ja kürzlich schon geschrieben, dass man verschiedene Urteile seriös vertreten kann. Eine Verurteilung wegen Mordes ist angesichts bereits ergangener Mordurteile in anderen Raserfällen gar nicht unwahrscheinlich.

In 12 Stunden wissen wir mehr.
 
Mein Petitum für das Urteil wäre also eine Jugend-Freiheitsstrafe von 6 Jahren wegen Verbotenem Kraftfahrzeugrennen.
Ich finde ehrlich gesagt nicht, dass der Unfall im Zuge eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens passiert ist.
Bin da eher bei @PolariZ: Wer bei Dunkelheit mit 160 km/h durch, wie du sagst, einen wohl belebteren Stadtteil rast in einer Manier wider jeden normalen Menschenverstand, nur um den Kick zu bekommen (niedere Beweggründe), der muss billigend in Kauf nehmen, dass er sich und vor allem andere schädigt oder leider eben auch tötet. Und wie du sagst, es war nur eine Frage der Zeit, vor allem im Hinblick darauf, dass er das bereits öfter gemacht hat...In meinen Augen gehört der auch für 10 Jahre weg wegen Mord...
Aber ich bin überhaupt nicht in diesem Juristen-Game drin, habe weitaus weniger Ahnung als du zu haben scheinst. Das war nur meine Subjektive Meinung.
 
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@z4_cze

Du hast genau das richtige Wort fett geschrieben: genau darüber, ob er den Tod Anderer billigend in Kauf nehmen muss, gibt es verschiedene Meinungen, und genau dies ist auch die entscheidende Frage.

Eine kleine Korrektur am Rande: an einem Wochentag um 23:30 gibt es dort naturgemäß schon wenig Fußgängerverkehr. Trotzdem muss natürlich aufgrund der genannten Lokalitäten immer mit Fußgängern gerechnet werden, die wegen der (wie die Polizei ausdrücklich beschrieben hat) auch zu dieser Uhrzeit immer beidseitig durchgehend belegten Parkstreifen auch erst spät zu sehen sind, das heißt praktisch erst in dem Moment, wo sie schon auf der Fahrbahn sind. Abgesehen davon, dass um 23:30 auch mal jemand alkoholisiert sein kann.
 
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