Bei mir steht ja nun das erste Jubiläum bevor: Am 4.02.2017 habe ich meinen (ersten) Camaro abgeholt. 1 Jahr mit dem Ami ... ich blicke mal etwas zurück und versuche gerade für diejenigen hier, die sich für ein US-Car oder gar für den Camaro interessieren, ein paar Erfahrungen zu formulieren.
Für wen könnte der Camaro interessant sein?
Wer sich ein US-Car kauft sollte ein dickes Fell haben: zum einen, weil man oft angesprochen wird - im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis, aber auch von fremden Menschen auf der Straße, an der Tankstelle, etc. Sehr häufig gibt es den Daumen nach oben aber auch kritische Fragen kommen und viele Diskussionen beginnen mit den bekannten - aber auch eben lange überholten - Vorurteilen gegenüber solchen Autos: der schluckt doch unmäßig viel, der kann nur geradeaus schnell, man kennt ja von den amerikanischen Autos dies oder das, alles Plastik, und so weiter und so fort. Man kann sich die Mühe machen die Menschen aufzuklären, und viele sind dann sichtlich überrascht, oder solche "Argument" einfach weglächeln. So oder so, diese Gespräche kommen.
Man sollte aber auch damit klarkommen, dass ständig Kinder am Straßenrand aus dem Häuschen sind, dass man von Erwachsenen an der Ampel aufgefordert wird doch mal kurz und kräftig Gas zu geben und dass Halbstarke meinen einen "Bruder im Geiste" gefunden zu haben, der nur auf das nächste Ampelrennen wartet. Ebenso erntet man auch Kopfschütteln, erschreckte Menschen beim Anlassen des Wagens, etc. Kurz gesagt: Unauffällig geht mit einem Camaro nicht!
Zur eigentlichen Frage nun, für wen könnte das Auto interessant sein, wenn obiges klar ist? Für Individualisten, für Motorkonzept-Gestrige, für Turboverachter, für Soundfetischisten, für Zehntel-Ignoranten, für Detail-Vergesser, für Hubraumjunkies, für Cruiser, für Way-of-Life-Fahrer, für Autotest-Belächler, für Weg-zur-Werkstatt-auf-sich-Nehmer, ... und viele mehr.
Vom Z4 auf den Camaro umsteigen?
Einen e85 hatte ich nie, daher bin ich nicht sicher, ob dieser Umstieg gut funktioniert. Klar, wenn man einen potenten Saugmotor gewohnt ist, fällt es leicht mit dem 6,2 Liter V8 im Camaro klar zu kommen. Auch bei der Materialanmutung war man im e85 wohl nicht unbedingt verwöhnt und hier stellt der Camaro dann schon einen kleinen Aufstieg dar. Allerdings ist der Ami im Gegensatz zum alten Z4 fett. Und das merkt man auch.
Vom e89 kommend ist der Innenraum des Camaro keine Offenbarung, die Materialien sind eher schlechter - mit der Betonung auf das "er" am Ende, denn schlecht sind sie wahrlich nicht. Moderne Dinge wie Apple Car Play/Android Auto, Rückfahrkamera und Head Up Display erfreuen dann aber schon, denn sie sind serienmäßig an Board. Ja, es ist auch das neuere Auto. Auch hier (allen e89-Lästerern zum Trotz) muss erwähnt werden, dass der Camaro immer noch "fett" rüberkommt, immerhin wiegt er etwas mehr und ist einen halben Meter länger im direkten Vergleich. Beim Blick in den Rückspiegel geht es einem fast wie in der Smart 4Four-Werbung: man erschrickt, weil da ja plötzlich noch zwei Sitze hinter einem sind.
Die Umstellung von Z auf Camaro ist also beträchtlich in Bezug auf die schiere Größe des Fahrzeuges und auch beim Fahren merkt man das. Das sollte aber nicht den Eindruck erwecken, dass man mit dem Camaro langsam oder langsamer ist. Wie schon geschrieben, hier geht es nicht um Zehntelsekunden, die sich aus Vergleichstests in Fachzeitschriften ableiten lassen. In der Praxis muss der Camaro einfach anders gefahren werden als ein Z. Früher bremsen (Gewicht!), anders einlenken (Gewicht, Länge und Breite!), die Drehzahl im Auge behalten (Sauger!) ... wenn man diesen Bogen erst einmal raus hat, ist man überrascht, wie flott "das Ding" um's Eck geht. Die Kraft, mit der die Fuhre dann auf Bergpässe hochschiebt, ist schon enorm (zur Erinnerung: 617Nm und 453PS), die breiten 275er Hinterradschlappen bringen die Kraft gut auf die Straße und das adaptive Fahrwerk (Magnetic Ride) hält den schweren Brocken stets auf Linie. Wenn dabei noch das Dach offen ist und das Gebrüll des V8 von den Felswänden zurückgeschmettert wird - lächelt auch der größter Kritiker, sofern er ein paar Tropfen Benzin im Blut hat.
Der Ami als Daily-Driver?
Zugegeben, ich fahre nicht wirklich jeden Tag mit dem Camaro. Aber ich bewege ihn oft und dann bringe ich auch mal die Kinder zu ihren Trainings, fahre schnell Einkaufen im Nachbarort, treffe Kunden, mache einen Ausflug oder heize mit Freunden über Pässe und cruise an "meinen" Seen entlang. Alles in allem kamen so 10.000Km in 6 Monaten mit dem ersten Camaro zusammen (R.I.P) und nochmals 7.000Km im zweiten Halbjahr mit dem Nachfolger. Fahrerisch alles kein Thema, besonders auf längeren Strecken entpuppt sich der Camaro als sehr bequem und lässig. Lange Zeit Vollgas wird für die Ohren irgendwann anstrengend, denn selbst im Stealth-Modus der Klappenanlage ist der V8 immer präsent und das Stoffdach nervt irgendwann mit leichten Windgeräuschen. Dann lieber mit dem Tempomat auf 160 und die homöopathische Drehzahl genießen.
Fahrer und Beifahrer haben gut Platz, die so oft kritisierte Sicht nach draußen ist reine Gewöhnungssache (also durchaus nicht gut, aber man kommt klar), soweit man keine Fondspassagiere hat freut man sich über zusätzlichen Stauraum auf den Rücksitzen, denn der Kofferraum ist beim Cabrio wahrlich nicht groß.
Der Verbrauch ist, wie immer, abhängig vom Fahrer und dessen Fuß. Die Zylinderabschaltung arbeitet sehr gut und ebenso unauffällig. Damit lassen sich einige Liter sparen. Möchte man allerdings immer den V8 präsent im Ohr haben und die Drehzahl stets auf einem Niveau, dass sofortiges Ansprechen des Motors garantiert ... dann schaltet man manuell und das Display besser in einem Modus, wo der Verbrauch nicht angezeigt wird. Ich liege im Schnitt über das erste Jahr gesehen bei etwas über 12 Litern/100Km Super Plus.
Wer das akzeptabel findet, wird sich auch mit Versicherung und Steuern anfreunden können - alle drei Aspekte führen dann dazu, dass sich der anfänglich günstige Kaufpreis ein wenig relativiert. Hat man zudem Spaß daran, sich an Weihnachten selber nettes Zubehör für den Camaro unter den Baum zu legen, relativiert es sich schnell weiter, denn viele Teile sind teuer. Allerdings: der Camaro verträgt einiges an Individualisierung, zusätzlichem Sprit, etc. bevor man preislich auf dem Niveau von vergleichbaren Wagen aus deutscher Produktion angelangt ist.
Bevor es zu langatmig wird: Als ich den ersten Camaro zerstört hatte waren sich viele sicher, dass ich nach dem 6-monatigen Ausflug in die Gefilde der US-Cars nun wieder "vernünftig" werden würde und auf M4 oder ähnliches zurück komme. Mich hatte selbst überrascht, dass mir dieser Gedanke von allein gar nicht kam. Klar würde ich wieder einen Camaro nehmen (okay, kurz hatte ich über eine C7 nachgedacht)! Und ich bereue es bis heute nicht, kann gut über kleine Unzulänglichkeiten hinwegsehen, lächle inzwischen Gegenargumente oder Unverständnis zunehmend weg und freue mich fast täglich über das leicht ungehobelte, raue Gebaren des Camaro, der so gar kein Gentleman sein will. Man muss sich ja diesbezüglich vom Auto nicht anstecken lassen
Tim