Auch wenn es nicht die Essenz deines Postings war, möchte ich doch betonen, dass es zwischen "damals" und "heute" erhebliche Unterschiede gibt. Allgemein sind die Deutschen wesentlich kritischer geworden, was m.E. eindeutig am Internet liegt. Nicht nur, weil dank Internet kaum noch etwas im Verborgenen bleibt, auch, weil die Leute heutzutage viel besser in der Lage sind, sich unterschiedliche Informationen von unterschiedlichsten Informanten zu beschaffen, sich untereinander auszutauschen, um sich daraus eine dezidiertere Meinung zu bilden, als dies früher möglich war.
Das ist unzweifelhaft richtig. Damit verbinden sich aber auch große Herausforderungen. Trotz aller erzieherischen Versuche ist der Durchschnittsbürger überhaupt nicht in der Lage, selbst mit ausreichender Muße komplexe Informationen so zu verarbeiten und zu bewerten, wie es wünschenswert wäre.
Eine weitere große Herausforderung ist die Qualität von Informationen aus dem Internet, es gilt nach wie vor:
Schon allein dieser Thread hier beweist immer wieder aufs Neue, dass ein bloßes hingeworfenes Wort, ein Link zu einer völlig fragwürdigen Quelle oder ein unüberlegter Diskussionsbeitrag ausreichen, damit andere Teilnehmer darauf ihre Meinung aufbauen oder ändern.
Durch das Internet hat sich die deutsche Demokratie, in der plebiszitäre Elemente eher außen vor gelassen wurden, doch arg in Richtung einer direkten Demokratie entwickeln. Das Volk formiert sich quasi im Internet und übt so seine Macht aus, was an und für sich ja eine feine Sache ist.
Bei allen positiven Effekten sehe ich viel stärker einen zersetzenden Einfluss auf unsere Demokratie. Die Schnelligkeit und Schnelllebigkeit von Informationen im Internet läßt weder ein differenziertes Betrachten, noch ein echtes Verifizieren von Aussagen zu. Es ist alleine die Menge von Aussagen, die Tendenzen bestimmt. Die große Gefahr für unsere parlamentarische Demokratie besteht darin, dass das Internet Mechanismen anbietet, die es einer kleinen Gruppe von Leuten ermöglichen, die Grundprinzipien der Demokratie auszuhebeln. Einzelne Blogger, Twitter oder facebook-Seiten können einen Politiker derart in die Enge treiben, dass ihm seine Arbeit unmöglich gemacht wird. Wohlgemerkt, ich spreche hier nicht von Wulff, sondern ganz allgemein.
Wir entfernen uns immer mehr von dem Prinzip, dass der Bürger seine Stimme auf einen gewählten Politiker überträgt, der ihn aufgrund seiner vor der Wahl bekannten Einstellung vertreten soll. Immer häufiger kidnappen kleine Gruppen das demokratische Prinzip, um Änderungen zu erzwingen (Stuttgart21 ist ein Beispiel dafür), bis hin zu Occupy, WikiLeaks und ähnlichen Gruppierungen, die kein Problem damit haben, sich außerhalb geltenden Rechts zu stellen, um ihre eigene Ethik oder Moral als Maßstab zu etablieren. Wenn Regierungen z.B. durch gezielte Hackerangriffe zu einem Meinungswechsel gezwungen werden sollen, so ist das auch ein Auswuchs des Internets.
Ich betrachte dabei nur die Mechanismen, nicht die Frage, inwieweit ein Protest, ein kritischer Beitrag oder eine sonstige Aktion begründet ist oder nicht. Mir ist es wichtig, die Auswirkungen zu sehen, die ein über das Internet erzeugter Druck haben kann, selbst wenn er ungerechtfertigt ist oder aus illegalen Aktionen stammt.
In diesem Zusammenhang könnte man nun betrachten, ob mittelmäßige Politiker mit ihren Medienauftritten oder aber die Reaktionen aus dem Internet das wirkliche Problem sind. Meine Prognose ist, dass sich die Strukturen insgesamt verändern werden, vielleicht sogar hin zu einer neuen Form der Politik. Dabei gestehe ich gerne, dass ich keine Idee habe, wie so etwas aussehen könnte.
Wer nach Basisdemokratie vor allem in Verbindung mit dem Internet schreit, der sollte mal in der Nachbarschaft herumhören, wo sich Widerstand gegen ein Bauprojekt aufbaut, gleich welches. Geht mal hin zu solchen Diskussionen und schaut Euch den Wissensstand, die Zielsetzungen, die Neutralität und die Selbstsucht der Leute an, die da alle unter dem gleichen Deckmäntelchen protestieren. Und dann übertragt das mal auf Bundesebene...
Ich bin mir recht sicher, dass Kohls Verfehlungen ihm heutzutage innerhalb kürzester Zeit das Genick gebrochen hätten
Das wäre sehr wünschenswert, ich fand die Situation damals einfach unerträglich. Und ich sag's nochmal: sowohl absolut betrachtet wie auch relativ zum Fall Kohl und vergleichbaren lache ich mir einen Ast ab, wie sich die Leute über die Nullnummer von Wulff aufregen. :)