Der Film 'Der Goldene Handschuh', hatte ich ja bereits geschrieben, ist nichts für schwache Nerven oder den lockeren Chipsabend. Zumindest bei mir hat das Werk noch etwas nachgewirkt und zwar deswegen weil die Story wirklich mal so ähnlich gelaufen ist. DAS ist krank, ja!
Ich hätte auch nicht gedacht, dass meine Empfehlung hier so hohe Wellen schlagen wird.
Der Film an sich hat aber absolut nichts mit eklig, primitiv oder pervers zu tun. M.E. (und im Gegensatz zu SAW, Horror- und diversen Hollywood-Kriegsfilmen) wurde hier nie direkt gezeigt, wie irgendwelche Körperteile zerstückelt wurden. Man hat immer nur gesehen, wie ein Entschluss gefasst wurde, während der Tat Blutspritzer ins Bild gelangten oder die Tat vollendet war und dann hatte man nur blutgetränkte Lumpen gesehen. Der Rest, und das ist eben die Kunst, spielt sich im Hirn des Betrachters ab. Was der Betrachter hier als niederträchtig oder sonstwas betrachtet, entsteht m.E. erst in der eigenen Phantasie. Ich denke, genau das war so gewollt - und deswegen zolle ich dem Regisseur höchsten Respekt. Das ist eben nicht einfach stumpf draufhalten. Wie bei guter Musik oder Literatur liegen die Feinheiten zwischen den Zeilen und/oder man erkennt sie erst nach mehrmaligem Hören, Lesen, Ansehen.
Ich will jetzt nicht den ganzen Film analysieren, das würde einen eigenen Thread erfordern und man kann sicherlich ellenlang diskutieren (was im Übrigen auch gute Werke ausmacht)… ich war ebenfalls auf dem Kiez in HH unterwegs, diverse Nächte, diverse Kaschemmen abseits des Mainstreams. Du brauchst nur mal vom Goldenen Handschuh die Straßenseite wechseln und vor der Tourizeit (so um 18 Uhr) in den Elbschlosskeller gehen. Dann sieht man diese zahlreichen Honkas, die um diese Uhrzeit schon hackevoll im Saloon sitzen. DAS ist Realität!
Warum sollte man davor die Augen verschließen und sich angeekelt fühlen oder das als widerwärtig empfinden? O.k., das ist nicht das, was wir mit der Chipstüte in der Hand am Samstagabend in der Glotze sehen wollen. Das ist aber auch nicht RTL2 Scripted Reality, sondern einfach 'nur' Real Reality - ja, also total echtes Leben. Das war damals so und es existiert heute auch noch so. Wenn man sich dem realen Leben nicht stellen kann, muss man sich eben Scheinwelten hingeben. Das handhabt jeder wohl zu seinem eigenen inneren Schutz eigenmächtig.
Ich denke, was abschreckt, ist die Tatsache, dass es diesen Freak wirklich gegeben hat. Wenn man einfach nur einen Hollywoodstreifen mit gleichen Bildern gedreht hätte, wer würde sich denn dafür interessieren? Da sieht man ja nicht mal, wie so'n Kopf abgehackt wird, gääähn…
Der Film zeigt die damalige Zeit - das ist aber heute nicht anders. Im Verlauf wird aufgezeigt, welche Einflüsse dazu führen, dass sich der 'harmlose' Säufer Honka zu dieser Katastrophe entwickeln konnte. Entstelltes Gesicht, Dialekt, Sprachfehler, kein Schlag bei Frauen, Suff, Leiharbeiter, Kassengestell, aufgerappelt und gefallen, Nobody… Darüber sollte man mal nachdenken. Na, klingelt's? Im Grunde ein aktuelles Thema, denn auch heute fühlen sich viele Leute minderwertig, gerade in dieser Zeit.
Wenn man sich von Anfang an von den Bildern abgestoßen fühlt, wird man sich schwerlich in die Gedankenwelt Honkas hineinversetzen können. Vielleicht hilft es, sich mit dem Fall zu beschäftigen.
Ich halte es auch für falsch, derartige Filme ab einem jungen Alter freizugeben. Keine Ahnung, wie das bei Netflix läuft. Als Erwachsener sollte man allerdings den Unterschied zwischen Wohnzimmer und der Welt hinter der Mattscheibe unterscheiden können. Von daher habe ich keine Angst oder empfinde Ekel, wenn hinter dieser Scheibe skurrile Dinge ablaufen - das sind nur Bilder mit Ton. Ich kann mir dann sogar auch SAW oder Live-OPs ansehen, kein Problem. Im echten Leben ist das sicherlich 'ne ganz andere Nummer. Das macht eventuell die Lebenserfahrung zwischen jungen und älteren
Ü40-Säcken wie mir Menschen aus.
* hier ist ein kleines Aufklärungsvideo der Hamburger Morgenpost