Weil diese Sache mit dem
Vorsatz ja wirklich kompliziert ist, versuch' ich jetzt mal eine
möglichst unjuristische Erläuterung dieses Themas. „Jura mit Brummm“ sozusagen.

Juristisch (aus-) gebildete Mitleser lesen zur Vermeidung körperlicher Schmerzen jetzt besser nicht mit.
Wichtig ist das Thema ja für die ganz grundlegende Frage, ob in den „
Raserfällen mit Todesfolge“ eine Bestrafung als
Mord oder Totschlag, oder nur als
fahrlässige Tötung erfolgt.
1.) Für den „juristisch unbelasteten“ Bürger ist es mitunter schwer nachvollziehbar, warum ein Raser, der halt leider einen Unfall baut, als Totschläger oder gar Mörder verurteilt werden soll. Schließlich wollte der Raser doch nur rasen, aber er wollte keinen Menschen töten.

Natürlich hätte er nicht rasen dürfen, da war er also offenbar zu sorglos, hat also irgendwie „
fahrlässig“ gehandelt, aber keinesfalls „absichtlich“ den Menschen umgebracht. Daher, so meint man, kann er doch eigentlich
nur für fahrlässige Tötung bestraft werden.
Oder?
2.) Leider ist die Sache mit der
Absicht, man kann sie auch synonym „
Vorsatz“ nennen, keineswegs so einfach: Würde man die Grenze zwischen Vorsatz und
Fahrlässigkeit einfach nur beim „wollen oder nicht wollen“ ziehen, dann gäbe es kaum vorsätzliche Taten. Denn der Täter würde vor Gericht immer sagen, dass er die Tat ja eigentlich „nicht wollte“. Vom Auftragskiller vielleicht mal abgesehen.
a) Nehmen wir als
Beispiel mal einen
Einbrecher: Dieser Einbrecher hat Einbruchswerkzeug und eine Schusswaffe dabei und bricht damit in ein fremdes Haus ein. Ärgerlicherweise stellt sich ihm dort der Hausherr entgegen, worauf der Einbrecher ihn erschießt. Danach klaut er ein paar Gegenstände und verlässt das Haus.
Einig sind wir uns sicherlich darin, dass der Einbrecher sich des (Einbruchs-) Diebstahls strafbar gemacht hat. Aber was ist mit dem Tod des Hausherrn? Gemäß der o.a. Grenzziehung würde der Einbrecher vor Gericht sagen, dass er den Hausherrn ja gar nicht töten wollte. Sondern der Einbrecher wollte nur einbrechen und klauen. Dass dabei der Hausherr zu Tode gekommen ist, ist ein „dummes Versehen“. Demnach wäre der Einbrecher
nur der fahrlässigen Tötung schuldig.
Wenn der/die eine oder andere sich nun fragt, ob das
gerecht ist, dann ist diese Frage sehr berechtigt. Dass der Hausherr erschossen wurde, soll nur ein dummes Versehen, also eine fahrlässige Tat sein?! Vielleicht nur bestraft mit einer Geldstrafe oder mit Gefängnis auf Bewährung (siehe § 222 StGB)?!
b) Weil es viele solcher „Grenzfälle“ gibt, hat die Rechtswissenschaft sich schon früh Gedanken zur
Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit gemacht. Dazu gibt es verschiedene Theorien; manche haben sich eher durchgesetzt als andere (ob das so richtig ist, ließe sich natürlich diskutieren).
Schauen wir uns doch mal genauer an,
wie der Einbrecher vorgegangen ist und was er dabei mutmaßlich wollte bzw. nicht wollte: Sicherlich sind wir uns einig, dass er auf jeden Fall einbrechen und etwas klauen wollte. Diesbezüglich hat er ganz klar absichtlich, also
vorsätzlich gehandelt. Wie ist es nun mit dem Tode des Hausherrn? Zwar hat der Einbrecher diesen Tod wahrscheinlich wirklich nicht gewollt. Oder zumindest wäre es ihm lieber gewesen, wenn das nicht passiert wäre.
Allerdings: Der Einbrecher hatte ja eine Schusswaffe dabei, hat also damit gerechnet, dass er sich womöglich verteidigen oder auch jemanden angreifen muss. Genau das hat er dann ja auch getan. Es war also nicht sein hauptsächliches Ziel, aber er war dem Grunde nach
bereit dazu und hat es zumindest – wenn auch als „notwendiges Übel“ – in Kauf genommen, dass bei der Tat ein Mensch verletzt werden oder gar zu Tode kommen könnte.
Nun könnte man der Auffassung sein, und in der Tat sieht das auch unsere Rechtsprechung so,
dass dieses „in Kauf nehmen“ für die Annahme einer vorsätzlichen Tat durchaus ausreicht. Denn es macht doch eigentlich wenig bis keinen Unterschied, ob der Täter (hier: der Einbrecher) ein Tatergebnis (hier: den Tod des Menschen) unbedingt will, oder ob es lediglich eine Art (notwendiges) "Zwischenziel" zum Erreichen seiner eigentlichen Absicht (hier: dem Diebstahl) ist. So oder so nimmt der Täter eben in Kauf, dass ein Mensch stirbt, damit der Täter (hier: der Einbrecher) sein Ziel erreicht.
Die Rechtswissenschaft nennt das einen "
bedingten Vorsatz", oder auch "
Eventualvorsatz". Der schlaue Lateiner nennt ihn "dolus eventualis".
3.) Wenn wir diesen Denkansatz nun auf die
Raserfälle übertragen, dann wird vielleicht schon deutlicher, warum man hier vielleicht doch einen Vorsatz annehmen könnte: Denn auch der Raser hat zwar nicht das unmittelbare
Ziel, einen Menschen zu töten. Aber das Rasen ist ihm offenbar so wichtig, dass er die Verletzung oder gar den Tod unschuldiger
in Kauf nimmt. Er will solche Todesfälle zwar nicht so gerne, aber letztendlich ist es ihm offenbar auch irgendwie egal, ob es passiert. Denn wäre es ihm nicht egal, dann würde er eben nicht so heftig rasen.
4.) Wie gesagt: es sind auch andere Denkansätze vorstellbar für die Abgrenzung zwischen Vorsatz (Absicht) und Fahrlässigkeit. Der vorstehende Denkansatz ist jedenfalls derjenige, den – natürlich in deutlich anspruchsvollerer Art und Weise – unsere Rechtsprechung verwendet.